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Der Täter / Psychothriller

Der Täter / Psychothriller

Titel: Der Täter / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Geistlichen, während dieser in Gedanken in die Vergangenheit zurückwanderte und die Erinnerung an das Böse sich in jede Falte um seine Augen, auf der Stirn und um die Mundwinkel eingrub.
    »Da wäre noch etwas«, fuhr Winter langsam fort. Er sah, wie der Rabbi den Blick langsam über die Landschaft von Jahrzehnten schweifen ließ, um schließlich wieder in der ungewissen Gegenwart anzukommen.
    »Was wäre da noch, Mr.Winter?«
    Winter antwortete leise. »Nehmen wir alle mal an, er wüsste, wer Sie sind. Und wo Sie wohnen. Gehen wir für den Moment auch einmal davon aus, dass er sich seiner Sache sicher ist, weil er vermutet, dass niemand nach ihm sucht. Nehmen wir ferner an, er plante in diesem Moment seinen nächsten Übergriff.«
    Frieda Kroner schnappte nach Luft. Der Rabbi trat einen Schritt zurück. »Glauben Sie das, Mr.Winter?«, fragte er mit einem Anflug von Panik.
    »Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen, allerdings sollten Sie, denke ich, den schlimmsten Fall einkalkulieren.«
    »Aber wieso?«, fragte Frieda Kroner.
    »Vielleicht hat er etwas von Mr.Silver erfahren.«
    »Nein, das glaube ich nicht. Selbst unter Schmerzen. Nein.«
    Winter nickte. »Vielleicht haben Sie recht. Aber da ist noch etwas, das mir gerade einfällt.«
    »Was denn?«
    Bei der Erinnerung kam er sich hilflos, ohnmächtig und dilettantisch vor. Er fragte sich, ob Irving Silver jetzt vielleicht noch vor ihm stünde, hätte er nur ein paar Tage früher daran gedacht. Er sah sich wieder in dieser drückenden Hitze, im Stimmengewirr der Kriminaltechniker zusammen mit dem jungen schwarzen Detective in Sophie Millsteins Wohnung stehen: Während er mit dem Detective sprach, zeigte er mit dem Finger auf das Telefontischchen.
    »Sophies Adressbuch ist in der Nacht ihrer Ermordung verschwunden.«
    »Was?«
    »Ihr Telefonbüchlein. Es war nicht mehr am gewohnten Platz. Es war verschwunden.«
    »Und Sie meinen, der Schattenmann …«
    »Falls er es entdeckt hat, könnte er es mitgenommen haben. Und Sie standen beide drin, denn ich habe selbst gesehen, wie sie es aufgeschlagen hat, um Ihre Telefonnummern nachzusehen.«
    »Aber wir wissen nicht …«, begann der Rabbi, verstummte jedoch plötzlich. Er wippte auf seinen Absätzen vor und zurück, dann legte sich ein verhaltenes Lächeln um seinen Mund. »Das ist wie ein Schachspiel, nicht wahr, Detective?«
    »In gewisser Weise ja.«
    »Er hat einige Züge gemacht. Er hat das Spiel beherrscht. Es kommt mir so vor, als hätten wir irgendwie übersehen, wie seine Figuren von einem Feld zum anderen ziehen. Wir sind zu dritt, und wir haben noch einige Tricks auf Lager, oder?«
    »Das sehe ich auch so.«
    »Ich habe keine Angst«, sagte der Rabbi plötzlich zu Frieda Kroner. »Egal, was passiert, kann er mir keine Angst machen. Ich glaube, auch Irving hatte keine Angst, als er ihn entführte, und ich glaube, dich kann er auch nicht mehr schrecken. Haben wir nicht das Schlimmste gesehen, was es auf dieser Erde geben kann? Gibt es etwas Schlimmeres als Auschwitz?«
    Seltsamerweise lächelte nun auch Frieda Kroner. »Das haben wir alles hinter uns …«
    »Wir können auch dieser Gefahr ins Auge sehen.«
    Simon Winter beobachtete, wie der alte Mann die Hand der alten Frau ergriff und sie einmal kurz drückte.
    Er hatte das Gefühl, als sollte er etwas sagen, doch fehlten ihm die Worte. Frieda Kroner drehte sich zu ihm um. Sie sagte nichts, aber er wusste, dass sie alle für den nächsten Schachzug bereit waren.
     
    Esther Weiss lehnte sich in ihrem kleinen Büro im Holocaust Center auf dem Schreibtischstuhl zurück. Sie schien nicht überrascht, ihn wiederzusehen.
    »Sie haben noch weitere Fragen, Mr.Winter?«
    »Ja«, antwortete er.
    »Das stand zu erwarten. Wenn man den Deckel der Büchse der Pandora lüftet, kommen eine Menge Fragen heraus. Was möchten Sie denn wissen?«
    »Haben Sie hier ein Register oder eine Liste von Holocaust-Überlebenden, ich meine, eine Art Adressbuch?«
    Die junge Frau zog für eine Sekunde eine Augenbraue hoch, dann schüttelte sie den Kopf. »Eine Liste der Überlebenden?«
    »Richtig.«
    »Wie das Mitgliedsverzeichnis eines Clubs oder einer geselligen Gruppe?«
    Er zögerte, dann erwiderte er: »Ja, auch wenn mir bewusst ist, wie seltsam das klingt.«
    »Das wäre ein Frevel, Mr.Winter.«
    »Tut mir leid … ich verstehe nicht ganz …«
    Sie unterbrach ihn mitten im Satz. »Mr.Winter, diese Menschen wurden zu Holocaust-Opfern, gerade weil sie auf Listen standen.

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