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Der Tag an dem die Sonne verschwand

Titel: Der Tag an dem die Sonne verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Domian
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vielleicht eine Krankheit vortäuschen? Ich konnte mich zu nichts durchringen. Erst vierundzwanzig Stunden vor Festbeginn rief ich sie an und teilte ihr larmoyant mit, ich sei sehr schlecht drauf, befände mich in einer Art depressiven Phase und könne deshalb unmöglich mit anderen Leuten kommunizieren. Sie schwieg eine Weile am Telefon (ich spüre dieses Schweigen heute noch) – und dann sagte sie: »Das hab ich mir schon gedacht. Es ist ein so großer Tag für mich. Alle, die mir wichtig sind, werden da sein – nur du nicht. Na ja …«
    »Nun sei nicht traurig, Julchen«, antwortete ich ihr, »es wird schon ein toller Abend werden – und nächsten Sonntag fliegen wir dann auf die Malediven und machen uns dort zwei wunderschöne Wochen. Nur wir beide alleine.«
     
    Die Doktorarbeit habe ich erst nach ihrem Tod gelesen. Heute steht sie hier in meinem Bücherregal.

13. EINTRAG
    Ich begreife nicht, was letzte Nacht passiert ist! Kann denn alles immer noch schlimmer werden? Offensichtlich ja! Es gibt für mich nicht den geringsten Anhaltspunkt, was vor sich geht! Ich habe wahnsinnige Angst!
     
    Vor einer Stunde bin ich aus dem Schlaf aufgeschreckt – vor Lärm! Ja, Lärm. Derartige Geräusche nach so vielen Monaten der Stille?
    Ich wusste zunächst gar nicht, wie mir geschah, wo ich war, was ich denken sollte, glaubte, noch verstrickt zu sein in ein Alptraumgeflecht. Aber dann wurde mir schnell klar, dass ich nicht mehr träumte, sondern im Gegenteil hellwach war. Ich sprang auf, rannte in meiner Wohnung auf und ab, horchte an den Wänden, am Fußboden, horchte ins Treppenhaus – konnte aber nirgendwo die Quelle des fremdartigen Lärms ausmachen. Erst dann schoss mir durch den Kopf: Es kommt von draußen! Irgendetwas muss draußen los sein! Ich öffnete hektisch eines meiner Fenster, eisiger Nebel quoll in meine Wohnung, und tatsächlich: Der Geräuschpegel erhöhte sich sofort um ein Mehrfaches. Durch den Nebel drang ein so schrecklicher Lärm, wie ich ihn noch nie zuvor gehört hatte: ein Gemisch aus startendem Düsenjet, polterndem Güterzug und tausend im Gleichtakt hämmernden Maschinen. Dazu ein dumpfes, penetrantes Brummen.
    Mein Gott, was war los?
    Ich streckte den Kopf weit aus dem Fenster, drehte ihn in alle Richtungen. Rannte dann zu den anderen Fenstern, tat dort das Gleiche. Und erkannte: Das bedrohliche Getöse kam aus allen Himmelsrichtungen, sogar von oben.
    Und bis zu diesem Moment, in dem ich hier schreibe, hält es vor, konstant, ohne Schwankungen!
    Was ist geschehen? Explodiert gleich die Welt? Landet ein fremdes Raumschiff? Werde ich jetzt irre? (Die vermeintlichen Schritte im Treppenhaus waren vielleicht die ersten Anzeichen meiner geistigen Verwirrung.) Sind es andere Überlebende, die irgendetwas in der Stadt tun? Nur: was?
    Ist es der Beginn einer weiteren Katastrophe? Ich weiß es nicht! Aber ich weiß: So kann ich nicht lange leben. Was soll ich tun?
    Ich bin gefangen im Eis, in der Finsternis, im Nebel – und nun auch noch unentrinnbar einem nicht zu identifizierenden Lärm ausgesetzt. Naht das Ende? Vielleicht. Dann soll es so sein.
     
    Drei Stunden später.
    Keine Veränderung des Geräuschpegels! Habe vorhin lange mit Igor gesprochen; das heißt, ich habe ihm erzählt, von dem Lärm draußen, von meiner Angst, von meinen Mutmaßungen. Dabei hat er mich völlig regungslos angestarrt. Auch als ich ihn von der Wand nahm und ihn aus dem geöffneten Fenster hielt – er sollte sich selbst einen Eindruck von dem unheildrohenden Getöse machen -, blieb seine Mimik ohne Rührung. Nun hängt er wieder an seinem Nagel.
    Ich muss etwas tun. Ich muss. Ich kann nicht hier sitzen und warten. Ich kann nicht hier sitzen und lesen. Ich kann nicht meinem »normalen« Tagesrhythmus nachgehen. Ich werde für ein paar Stunden meine Wohnung und mein Haus verlassen! Ich will versuchen zu erkunden, was draußen vor sich geht. Aber alles wird ungleich schwieriger sein als bei meinem Ausflug nach St. Aposteln. Noch mehr Schnee ist seitdem gefallen, und eigentlich macht der Nebel jegliche Orientierung fast unmöglich. Dennoch, ich will es versuchen. Ich werde mich jetzt mit dem Nötigsten ausrüsten – und dann aufbrechen. Ich habe nichts zu verlieren.
     
    Sechs Stunden später.
    Ich bin zurück.
    Aus dem Lärm. Ich kann nicht mehr. Fühle mich so erschöpft. Habe mich kreuz und quer durch mein Viertel gekämpft, durch den so hohen Schnee, durch den so dichten Nebel. Dabei immer in Angst, mich zu

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