Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tag, an dem du stirbst

Der Tag, an dem du stirbst

Titel: Der Tag, an dem du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
Vom Netzwerk:
gefürchtet, mich an meiner Mutter vergriffen zu haben. Jetzt wünschte ich mir, ich könnte genau das nachholen. Hätte ich es schon früher getan, gäbe es wenigstens einen Moment, an den ich mich gern erinnern würde, eine Erinnerung, die mich trösten könnte.
    «Sie ist tot», erklärte Detective Warren. «Zuletzt war sie in Boulder gemeldet, unter falschem Namen. Es könnte sein, dass sie sich nach dem Angriff mit dem Messer auf Sie eine andere Identität zugelegt hat.»
    «Nach dem was?»
    Beide Frauen schauten mich verwundert an. Ich fuhr wieder mit der Hand an meine Seite, und es dämmerte mir.
    Detective O sprach als Erste. «Sollen wir Ihnen wirklich glauben, dass Sie davon nichts mehr wissen?»
    «Ich war im Krankenhaus. Man hat mir den Blinddarm entfernt, vielleicht auch mehr. Das weiß ich von den Ärzten.» Ich kam mir unsicher und beschränkt vor, gefangen in meiner selbstverschuldeten Ignoranz. «Ich wurde aufgeschnitten und wieder zusammengenäht. So viel weiß ich.» Ich zuckte mit den Achseln. «Für Details interessiert sich eine Achtjährige nicht.»
    Detective O schüttelte den Kopf.
    D.D. räusperte sich. «Laut Polizeibericht hatte es bei Ihnen zu Hause eine heftige Auseinandersetzung gegeben. Sie wurden niedergestochen. Es scheint, dass Sie die Neun-eins-eins angerufen haben. Jedenfalls hat Ihre Mutter daraufhin offenbar die Flucht ergriffen.»
    Ausgerechnet ich landete später beim Notruf. Interessant. Aber wie gesagt, etwas zu wissen und gleichzeitig nicht zu wissen geht manchmal Hand in Hand.
    «Die Ärzte konnten Sie zusammenflicken, aber Ihre Mutter wurde nie gefunden. Ich schätze, sie hat sich sofort aus dem Staub gemacht und sich einen anderen Namen zugelegt, denn nur so konnte sie untertauchen. Ich habe zuerst in den Nachbarstaaten nach ihr suchen lassen, nach einer ähnlich aussehenden Frau entsprechenden Alters, die zudem ein Muttermal in Form einer Ananasfrucht auf der rechten Pobacke hat. Dank einer Initiative des FBI werden sämtliche Merkmale von nicht identifizierten Leichen in einer nationalen Datenbank gespeichert. Ich fand Übereinstimmungen in Colorado. Um ganz sicherzugehen, müsste natürlich noch eine DNA-Analyse vorgenommen werden. Aber es gibt noch zwei weitere Hinweise, die ziemlich eindeutig sind: die über der linken Brust eintätowierten Namen Rosalind und Carter.»
    «Ich hasse sie», platzte es aus mir heraus, bevor ich mich zusammenreißen konnte. Aber da die Worte nun einmal ausgesprochen waren, wollte ich sie auch nicht mehr zurücknehmen. «Wie konnte sie es wagen? Zuerst tötet sie ihre Kinder, und dann lässt sie sich ihre Namen über dem Herzen eintätowieren. Als hätte sie sie geliebt. Als hätte sie es verdient, sie so nah bei sich zu haben.»
    Ich war aufgesprungen und ging im Konferenzzimmer auf und ab. Ich hatte meine Hände zu Fäusten geballt und wünschte mir einen Sandsack. Es fehlte nicht viel, und ich hätte meine Faust durch die Gipswand gerammt. Und wäre ich dabei auf eine Holzverstrebung gestoßen, wäre ich dankbar gewesen für den Schmerz.
    «Wie ist sie gestorben?»
    «Das weiß man nicht. Sie war schon einige Zeit tot, als man ihre Leiche fand. Die Obduktion ergab, dass sie wahrscheinlich an einem Leberversagen infolge von Alkoholmissbrauch gestorben ist.»
    «Hat sie wenigstens leiden müssen? Waren ihre letzten Momente qualvoll?»
    Detective O starrte mich entgeistert an und beugte sich dann vor. «Sie sind wütend.»
    «Das können Sie laut sagen.»
    «Und fühlen sich hilflos?»
    «Weil ich mich nicht an ihr rächen konnte.»
    «Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten – würden Sie Ihre Geschwister dann retten?»
    «Ja!»
    «Vielleicht hätten Sie die anderen Kinder retten können. Dafür sorgen, dass Ihnen und Ihren Geschwistern Leid erspart bliebe.»
    «Es war schrecklich. Sie hat mich gequält und meine Geschwister erstickt, und niemand hat uns geholfen. Keiner hat einen Finger für uns gerührt.»
    «Woher wissen Sie, dass sie erstickt wurden?», fragte Detective Warren.
    «Ich vermute es. Es wäre das, was man am ehesten von einer Frau erwartet, oder?»
    Detective O griff den Faden auf. «Sie fühlten sich auch von der Polizei im Stich gelassen.»
    «Ja.»
    «Aber Sie arbeiten jetzt für die Polizei und werden wissen, dass ihr in manchen Fällen die Hände gebunden sind.»
    «Ja.»
    «Sie werden Nacht für Nacht angerufen und erfahren, dass Väter ihre jungen Söhne schlagen, dass kleine Mädchen misshandelt werden.

Weitere Kostenlose Bücher