Der Tag, an dem du stirbst
suchen.
Noch einundzwanzig Stunden.
Ich hängte mir die schwarze Ledertasche wieder über die Schulter und trat mit erhobenem Kopf meine letzte Schicht an.
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32. Kapitel
«Fehlanzeige.»
«Was soll das heißen? Tasche durchsuchen, Waffe konfiszieren, fertig.» Es war halb elf am späten Abend. D.D. hatte ihrem Sohn das Fläschchen vorm Zubettgehen gegeben. Er lag an ihrer Brust, ein warmes kleines Bündel, nicht viel größer als eine Wärmflasche. Die beiden schaukelten vor und zurück. Eine hübsche häusliche Szene. Klar, dass das Telefon hatte klingeln müssen.
«Ich habe Charlene Grant, kaum dass sie durch die Tür kam, zu mir zitiert und ihr mitgeteilt, dass mir zu Ohren gekommen sei, sie bringe eine Pistole mit zum Dienst. Das sei gegen die Vorschriften», fuhr Lieutenant Dan Shepherd vom Polizeirevier in Grovesnor fort. «Sie sagte daraufhin, es müsse wohl ein Irrtum vorliegen. Sie habe einen Hund mit zur Arbeit gebracht. Aber das werde nicht wieder vorkommen.»
«Um Himmels willen!»
«Sie hat zugelassen, dass ich ihre Tasche durchsuche. Da war nichts, Detective. Jedenfalls keine Waffe. Fehlanzeige.»
«Das kommt davon, wenn man eine Vernehmung vermasselt», murmelte D.D. mehr zu sich selbst als an Shepherd gerichtet. «Wenn man die Karten auf den Tisch legt und so die Zielperson alarmiert. Ich werde meiner Kollegin Detective O ‹Ich hab dich gewarnt› rückwärts auf die Stirn tätowieren lassen und Sie auffordern, vor der nächsten Vernehmung einen Blick in den Spiegel zu werfen.»
«Wie bitte?», fragte Shepherd.
«Habe nur laut gedacht. Zur Sache: Haben Sie sich Charlenes Dienstpläne angesehen?» Als D.D. den Lieutenant am Vormittag angerufen und darauf hingewiesen hatte, dass eine seiner zivilen Mitarbeiterinnen möglicherweise eine Waffe zur Arbeit mitbrachte, hatte sie ihn auch gebeten zu überprüfen, ob Charlene zur Tatzeit der ersten beiden Tötungsdelikte im Dienst erschienen war oder nicht. Douglas Antiholde war am 9. Januar erschossen worden. Der Todeszeitpunkt des zweiten Opfers Stephen Laurent hatte noch nicht genau ermittelt werden können, lag aber ungefähr zwei oder drei Tage später.
«Am Neunten hatte Charlene Nachtschicht», berichtete Shepherd.
«Ab elf?»
«Ja. Von elf bis sieben in der Früh.»
D.D. nickte stumm und rückte Jack zurecht, damit er es in ihrer Armbeuge bequemer hatte. Antiholde war am frühen Abend erschossen worden. Charlene hätte also durchaus Zeit gehabt, nach der Tat pünktlich zum Dienst zu erscheinen.
«Am Elften hatte sie ebenfalls Nachtschicht und dann noch ein paar Überstunden bis Mittag.»
«Dreizehn Stunden am Stück?»
«Das Maximum sind sechzehn Stunden.»
«Meine Güte, ist ja fast so schlimm wie bei uns.»
«Wer in der Leitstelle arbeitet, darf nicht zimperlich sein», sagte Shepherd. «In der Nacht zum Dreizehnten hatte Charlene frei. Wahrscheinlich hat sie deshalb vorher Überstunden gemacht.»
«Okay.» D.D. nahm sich vor, den Rechtsmediziner zu bitten, Laurents Todeszeitpunkt genauer einzugrenzen. Von ihrem Arbeitsplatz in Grovesnor bis zu Laurents Wohnadresse würde Charlene mindestens eine Stunde gebraucht haben.
Für die Tatzeit im ersten und im jüngsten Fall hatte Charlene definitiv kein Alibi, vielleicht auch keines im Fall Nummer zwei.
D.D. hatte schon viele Ermittlungsverfahren geleitet und gegen die jeweiligen Verdachtspersonen viel weniger in der Hand gehabt. «Ist Ihnen schon früher zu Ohren gekommen, dass Charlene mit einer Waffe zum Dienst erscheint?»
«Natürlich nicht. Ich wäre unverzüglich eingeschritten.»
«Hat sie von ihrer Vergangenheit erzählt, unter welchen Umständen sie aufgewachsen ist?»
«Detective, die Nachtschicht ist einzeln besetzt. Privatgespräche sind da ausgeschlossen.»
«Und wie steht’s um Ihre diensthabenden Kollegen?»
«Die werden fürs Streifefahren bezahlt und nicht dafür, dass sie in der Station rumhängen.»
«Aber sie haben doch auch mal Pause, und seien es nur zehn Minuten.» D.D. ging im Geiste Charlenes Dienstplan durch und suchte nach Gelegenheiten für sie, heimlich ihren Arbeitsplatz zu verlassen, einen Mord zu begehen und zurückzukehren, ohne dass jemand Notiz davon genommen hätte.
«Es gibt eine halbstündige Essenspause. Die meisten kaufen sich was unterwegs und essen im Streifenwagen. Charlene isst vor ihrer Konsole.»
«Eine halbe Stunde, mehr nicht? In acht Stunden Dienst?»
«Außerdem zwei kleine Pausen von jeweils
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