Der Tag, an dem du stirbst
Polizei die Waffe haben. Ich händige sie dann Ihnen aus. Sie können das Ding persönlich abliefern. Was mich anschließend erwartet, ist mir egal. Versprochen.»
«Was haben Sie vor, Charlie?»
«Randi ist tot. Jackie ist tot. Keiner weiß warum, keiner weiß, wie es dazu kommen konnte, und wer dahintersteckt, weiß auch niemand. Aber es waren meine besten Freundinnen, Tom. Ich habe sie geliebt, allzu sehr, wie mir heute scheint. Sie haben immer zu mir gestanden. Darum bin ich es ihnen schuldig, ihren Mörder zur Strecke zu bringen. Morgen Abend gegen acht. Wenn er oder sie zu mir kommt, werde ich ihn oder sie büßen lassen. Was anderes bleibt mir nicht übrig, Tom. Nichts, was mich noch am Leben hielte.»
Officer Mackereth trat auf mich zu.
«Und wenn ich Sie jetzt bitte, mir Ihre Tasche zu geben?», fragte er ruhig, die Hand am Holster.
«Bitte nicht.»
«Sie bluten.»
«Gibt Schlimmeres.»
«Wo ist Ihr Hund?»
«Sie hat mir keine Nachricht hinterlassen.»
Er seufzte und ließ die Schultern hängen. «Was soll ich bloß mit Ihnen anfangen?»
Ich sagte nichts und überließ es ihm, sich Gedanken zu machen.
«Schauen Sie mich an, Charlie. Schauen Sie mir in die Augen und versichern Sie mir, nicht getan zu haben, was Ihnen die Kollegen von der Zentrale unterstellen. Dann können Sie gehen. Sie können sich umdrehen, und ich habe Sie nie gesehen.»
Ich schaute ihm in die Augen und schwieg.
Er seufzte wieder, heftiger diesmal. Er schien tatsächlich bekümmert. «Ich habe Sie irgendwie gemocht, Charlie.»
«Ich Sie auch, irgendwie.»
«Typisch. Ich habe offenbar einen Hang zu angeknacksten Frauen. Helfersyndrom, sagt meine Schwester.»
Ich musste lächeln. «Und ich will immer mehr, als ich haben kann. Wir haben wohl beide einen Knacks weg.»
«Muss das so sein?»
«Wie könnte es sonst sein?»
Er rückte näher. Noch einen Schritt, und ich hätte ihm eine rechte Gerade ins Gesicht pflanzen können. Ich war versucht, die Tasche zu öffnen und die Pistole zu ziehen.
Ich dachte an Randi. An Jackie. Ich fragte mich, ob der letzte Moment für sie ähnlich gewesen war. Ob sie zur Gegenwehr bereit gewesen waren oder einfach nur darauf gewartet hatten, dass es bald vorüber sein würde.
Officer Mackereth stand mir inzwischen so dicht gegenüber, dass er meine Nasenspitze mit seiner hätte berühren können. Unser dampfender Atem vermischte sich in der frostigen Nachtluft. Seine Hand lag auf dem Knauf der Dienstwaffe; er schien sie nicht ziehen, sondern schützen zu wollen.
«Morgen Abend um fünf, Charlie?»
«Was ist dann?»
«Dann hole ich Sie ab. Morgen Abend. Ich weiß von Ihren Freundinnen. Habe mich kundig gemacht. Jemand hat es auch auf Sie abgesehen. Er wird es mit uns beiden zu tun bekommen.»
Ich schaute ihm wortlos in die blauen Augen. Sein Blick wirkte tatsächlich entschlossen.
«Und Sonntagmorgen», fuhr er fort, «überlassen Sie mir dann Ihre 22er.»
Ich nickte.
«Danach kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.»
Ich nickte wieder.
«Sie haben mir vor kurzem das Leben gerettet, Charlie. Schätze, ich bin Ihnen was schuldig. Aber am Sonntagmorgen sind wir dann quitt. Einverstanden?»
Er bewegte seine Hand. Ich dachte schon, er wollte meine Wange berühren. Vielleicht wünschte ich mir sogar ein bisschen, dass er mir mit seinen Fingern im Handschuh die eiskalte Wange streichelte. Oder mit seinem warmen Mund über meine Lippen strich. Oder mich an seinen kräftigen, festen Körper drückte.
Mir ist kalt , dachte ich und bemerkte im selben Moment, dass ich mich vor allem einsam fühlte.
Officer Mackereth drehte sich um. Er ging davon.
Ich blieb noch eine Weile im Dunkeln stehen und widerstand der Versuchung, ihn zurückzurufen.
Er verschwand in der Polizeistation. Hinter mir fuhr ein Auto vorbei. Ich wartete, bis niemand mehr in der Nähe war.
Dann öffnete ich meine Umhängetasche, holte die 22er daraus hervor, wickelte sie in meinen Schal und stopfte sie am Rand des Parkplatzes unter einem dornigen Strauch in den Schnee.
Dass ich in Stans Wohnung meine Waffe abgefeuert hatte, würde mich verraten. Wenn sie Detective Warren in die Hände fiele, wanderte ich in den Knast. Vielleicht wäre das die Lösung. Im Gefängnis wäre ich wohl sicherer.
Aber dann dachte ich an Tulip. Sie hatte sich am Morgen gegen das warme Schlafzimmer entschieden, um draußen herumstreunen zu können. Wir ließen uns offenbar beide nicht gern einschließen und zogen es vor, im Freien unsere Chance zu
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