Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
touristischen Attraktionen der Stadt abzuklappern, aber René und Claudi nahmen nur selten daran teil. Er hatte mit seinen heftig knackenden Kniegelenken zu kämpfen, und sie leistete ihm Gesellschaft, wenn er stattdessen seinen ewig knurrenden Magen im Seattle Center mit kulinarischen Köstlichkeiten aller Art zu beruhigen versuchte.
Ansonsten ging es ihm aber gut, sehr gut sogar. Er hatte nicht zu hoffen gewagt, dass er noch mal so eins mit seinem Körper sein würde. Aber wie jeder chronisch Kranke misstraute er diesem Zustand aus tiefstem Herzen.
Am Donnerstagabend beschloss er, seinen deutschen Kollegen endlich zu sagen, was los war. Harald, Maike und Frank wussten ja schon Bescheid, aber die anderen nahmen es ihm allmählich übel, dass er nur selten oder nie an ihren gemeinsamen Ausflügen teilnahm. Also lotste er die 15 oder 20 Leute, mit denen er beruflich öfter zu tun hatte, in eine Sushibar im Chinesischen Viertel und klärte sie dort über seine Krankheit auf. Er sprach schlicht und anschaulich über ihre Symptome, erzählte von seiner siebten Stent-OP und nahm auch zu seinen Zukunftsprognosen Stellung. Hin und wieder wurde er von Claudi mit einer liebevollen, aber sinnlosen Bemerkung unterbrochen. Doch er nahm den Faden stets wieder auf und hielt bis zum Schluss durch.
Das Bekenntnis nahm nur wenige Minuten in Anspruch. Danach herrschte betroffenes Schweigen in der Runde. Selbst den Leuten mit den eher losen Mundwerken verschlug es vorübergehend die Sprache. Dann kam ein verstörtes und unentschiedenes Murmeln auf. Einige guckten angemessen mitfühlend, andere schüttelten Claudi und ihm bekümmert die Hände oder schlugen ihnen aufmöbelnd auf die Schultern.
Ein Kollege blieb doch ein Kollege, auch wenn man ihn nur zweimal im Jahr sah und den Rest der Zeit keinen einzigen Gedanken an ihn verschwendete.
Insgesamt ging die Sache erfreulich glatt über die Bühne. Im Nachhinein verstand René selbst nicht mehr, warum er so lange mit der Geschichte hinterm Berg gehalten hatte.
Als Claudi und er spät abends ins Hotelzimmer zurückkamen, war er aufgekratzt wie lange nicht mehr. Er betrachtete seine Liebste mit neu aufkeimendem Interesse und entdeckte wieder diese angeborene Heiterkeit an ihr, die ihn vom ersten Augenblick an verzaubert hatte. Also stupste er sie beim Zubettgehen spielerisch in die Seite, und sie ging sofort darauf ein. Da legte er sich hin, schloss die Augen und genoss das Verlangen, das in ihm aufstieg. Das tat so gut, so gut, und es kam leider nicht mehr allzu häufig vor. Allmählich forderte die Krankheit auch in der Beziehung ihren Tribut. Aber hier und jetzt war es höchst erregend, die früheren Situationen nachzuspielen: Claudi und er allein in einem fremden Hotelzimmer. Die Kollegen gleich nebenan und nur durch eine dünne Wand von ihnen getrennt. Ihr kurzes Glück, das sich mehr und mehr hochschaukelte und schließlich zu einer jähen sexuellen Entladung führte. Die anschließende Illusion, dass diese Frau ihm gehörte und ihm ganz allein …
Aber diesmal kam noch etwas anderes hinzu, etwas, das René seit geraumer Zeit mit warmen Wellen durchspülte und ihn ein neues unbekanntes Glück erleben ließ: Er träumte davon, ein Kind mit Claudi zu haben. Er wollte und brauchte es plötzlich so sehr. Nie, nie, nie hätte er gedacht, dass es ihn auch mal erwischen würde. Aber nun war der Wunsch in ihm erwacht, und er wurde immer dringlicher. Er wollte gern eine Familie haben, die klassische Beziehungskiste eben, mit Frau und Nachwuchs und dem ganzen Drum und Dran. Da erwachten so viele Erinnerungen in ihm. Von denen konnte und wollte er sich nicht mehr lösen. Unterm Strich hatte er eine schöne Kindheit gehabt, und er war überzeugt davon, dass auch Claudi und er ein ganz passables Elternpaar abgeben würden.
Er hatte sich bisher nur noch nicht getraut, mit ihr darüber zu reden. Aber hier und jetzt wollte er es tun, oder besser gesagt: Er wollte es ihr zeigen. Die Gelegenheit war günstig. Sie hatte sich bereits heftig atmend entkleidet und streckte ihm die Arme entgegen. Da warf er ebenfalls alles von sich, robbte auf sie zu und nahm sie in die Arme.
Die Festigkeit und Jugendfrische ihres Körpers erstaunte ihn immer wieder. Seit sie regelmäßig joggte, war er sogar noch elastischer und konturierter geworden. Wie er die Silberfäden in ihrem Haar liebte … Sie sah wie eine reife Frucht aus, in die er am liebsten hineingebissen hätte. Das tat er auch, und sie fuhr voll
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