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Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Titel: Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Steen
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unmöglich für ihn, sich auf den Füßen zu halten. Immerhin kreischte er nicht so infernalisch herum wie Claudia und die anderen Frauen. Auf dem Weg zur Hinrichtung hielt er immer den Mund. Das war hier nicht anders als im Krankenhaus. Er verhielt sich wie ein Held, egal, wo das Schicksal ihn hintrieb.
    Im Moment trieb es Claudia und ihn und das Riesenstoffmonstrum über ihnen immer weiter in die Höhe, und weil das Ding zusätzlich noch wie ein Segel wirkte, drifteten sie gleichzeitig in Querrichtung auf die Pappelgruppe am Rand der Wiese zu. Noch hing der Heißluftballon mit einem Seil an dem Pick-up der Veranstalter fest, aber es war fraglich, ob der sie auf Dauer halten konnte.
    Es kam, wie es kommen musste: Das Seil spannte sich ruckartig, der Wagen machte einen Bocksprung nach vorn und der Ballon rauschte gegen die Kronen der Pappeln. Dann schrabbelte er daran entlang, bis die 16 Passagiere im Korb ein Reißen hörten und von den Helfern am Boden die Meldung erhielten, dass die rot-weiß gestreifte Hülle jetzt von einem etwa ein mal ein Meter großen Triangelriss verziert wurde. Die Leute drängten sich aneinander und warfen verstörte Blicke nach oben. Aber das war für den Kapitän, Piloten oder wie immer man den Kerl am Brenner nannte noch lange kein Grund, die Aktion abzublasen. Es sei überhaupt kein Problem, mit diesem „winzigen“ Loch weiter aufzusteigen, behauptete er.
    Über ihren Köpfen fauchte es erneut los, und dann wurde die Verbindung zum Pick-up auch schon gekappt, sodass sich der Ballon aus den Pappeln loshaken und frei in der Luft schweben konnte.
    Anschließend stiegen sie zügig nach oben, hoch und immer höher, bis sie schließlich lautlos und gemächlich über Felder und Wiesen, Wälder und Seen, Alleen und Ortschaften hinwegsegelten, immer weiter Richtung Südosten. Von unten winkten ihnen ein paar Frühaufsteher zu, Hunde bellten, Pferde nahmen panisch Reißaus und Kühe glotzten nur stoisch nach oben. Über ihnen steuerte eine Propellermaschine die Landebahn des nahen Sportflughafens an.
    Als sie über die Ruine von Burg Brasenstein hinwegschwebten, wollte Claudia immer noch vor Angst vergehen. Aber sie musste inzwischen auch zugeben, dass die Fahrt recht ruhig verlief. Trotzdem war der Gedanke, dass sie nur von ein paar Quadratmetern Polyestergewebe, ein paar Seilen und einem Flechtkorb in der Luft gehalten wurde, beklemmend. Im Nachhinein konnte sie nicht mehr begreifen, warum sie sich von René zu dieser Fahrt hatte überreden lassen. Er wollte Punkt 6 seiner Löffelliste abhaken, ja. Aber das war doch seine Liste und nicht ihre. Sie hatte trotzdem zugestimmt. Welcher Teufel hatte sie da bloß geritten? Warum hatte sie nicht im letzten Moment gekniffen? Sie hätte doch die Möglichkeit dazu gehabt.
    Aber weil sie kein Spielverderber sein wollte, machte sie schließlich gute Miene zum bösen Spiel und tat so, als würde sie sich mit René über den herrlichen Ausblick freuen.
    „Ich muss dich küssen“, sagte er irgendwann und sah sie mit leuchtenden Augen an.
    „Oha, na dann mal los“, sagte sie.
    Er schritt gleich zur Tat und suchte ihre Lippen. Anschließend schob er für einen Moment seine Hand in die ihre, drückte sie innig und ließ sie dann wieder los.
    Gefühlte fünf Stunden später entspannte Claudia sich endlich. Von da ab war es ganz angenehm, wie die Brüder Montgolfier durch den Himmel zu schweben. Der blassgoldene Schimmer der aufgehenden Sonne vermengte sich mit dem fahlen Dunst der Nacht und strahlte einen besonderen Zauber aus. Die Luft roch nach Sommer und Land, nach Grünzeug und Leben. Nur das gelegentliche Chchchch des Brenners und die Geräusche von unten durchbrachen die Stille.
    Ja, sie fühlte sich wieder wohl. Es ging ihr überhaupt sehr gut in letzter Zeit. Seit einem Dreivierteljahr war René vollauf damit beschäftigt, ihre angeknackste Beziehung zu retten, und er war sehr erfolgreich damit. Er hörte auf, gegen ihre Transplantationspläne zu hetzen und nahm sogar in regelmäßigen Abständen am Lebergesprächskreis teil. Obwohl er ihr seinerzeit geschworen hatte, dass ihn keine zehn Pferde mehr zu dieser „leidenden Horde“ bekommen würden.
    Alles war gut. Bis der Ballonfahrer in der beschaulichen Provinz zum Landeanflug ansetzen wollte. Die Betonung lag auf wollte , denn er schien sein Gefährt nicht mal ansatzweise unter Kontrolle zu haben. Für Claudias Geschmack sank es viel zu schnell nach unten, und der Passagierkorb schwang dabei wie

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