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Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Titel: Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Steen
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ihnen beiden schwer. Auch wenn sie insgeheim wussten, dass sie ihn wahrscheinlich schneller wiedersehen würden, als ihnen lieb war. Vielleicht schon morgen.
    13 Wochen lang hatte René sich darauf gefreut, seinen Kerker endlich verlassen zu dürfen und die Schwelle zur Freiheit zu überschreiten. 13 Wochen lang hatte er sich den Tag seines Nach-Hause-Kommens in den schönsten und schillerndsten Farben ausgemalt.
    Aber die Realität war eher ernüchtern.
    Als Claudi und er zum Parkplatz gingen, fing es an zu nieseln, und als sie schließlich im Wagen saßen, stieg eine andere, wohlbekannte Empfindung in ihnen auf: die des Unbehagens.
    Was würde ihre nächste Zukunft aussehen, jetzt, wo sie ihr großes Ziel erreicht hatten?
    Hatten sie es überhaupt erreicht?
    Würde ihre Genesung auch weiter voranschreiten?
    Oder mussten sie gleich morgen früh wieder bei Nils Wallin antreten, weil es ein neues Problem gab?
    Würden sie gar für den Rest ihres Lebens zwischen zwei Welten hin und her wandern?
    Oder schlimmer noch: Hatten sie sich etwa für einen Erfolg abgestrampelt, der gar kein Erfolg, sondern nur ein hinausgezögerter Misserfolg war?
    War die kommende Zeit in Wahrheit die vergangene Zeit, die durch eine andere Tür wieder hereinkam?
    Konnte es sein, dass sie plötzlich keine Angst mehr vor dem Tod hatten, sondern vor dem Leben?
    Und wenn ja: Würde dann trotzdem „alles gut“ sein, zumindest für die Jahre, die ihnen noch blieben?
    Fragen über Fragen, auf die sie noch keine Antworten wussten.

Kapitel 18: Vor zwölf Wochen
     
    Mia war ein kleiner Racker, das musste man leider sagen. Sie machte von früh bis spät Unsinn, warf mit Essen und Geschirr um sich und hielt mit ihren gefühlten 2000 Umdrehungen pro Minute ihre Umgebung unentwegt auf Trab. Besonders vernarrt war sie in Leo, und das beruhte auf Gegenseitigkeit.
    „Sie macht mir überhaupt keine Arbeit, im Gegenteil“, behauptete er. „Ist sie nicht süß? Diese rötlichen Ringellöckchen, diese blitzeblauen Augen … Der werden später mal alle Männer hinterhergucken, das prophezeie ich euch. Aber sie hat auch Persönlichkeit, und das ist noch wichtiger.“
    Oh ja, Persönlichkeit hatte ihre Tochter, das konnte Claudia bestätigen. Das fing schon vor ihrer Geburt an. Sie lag bis zum Ende der Schwangerschaft quer im Mutterleib und musste schließlich per Kaiserschnitt entbunden werden. Diese Querköpfigkeit hatte sie beibehalten. Außerdem liebte sie es, im Modder herumzuwühlen und jede Menge Blödsinn zu verzapfen. Der hatte ausnahmslos mit Schmuddelkram, Müll in jeglicher Form und wildem Herumtoben zu tun. Deshalb war sie die meiste Zeit von einer Schicht bedeckt, die man nur als Schmutz bezeichnen konnte.
    Und eben vor dem musste René sich hüten wie der Teufel vor dem Weihwasser. Er durfte seiner Tochter nicht zu nahe kommen, wenn sie sich in ihrem natürlichen Zustand befand, und wenn er es doch tat, musste er einen Mundschutz tragen und sich alle fünf Minuten die Hände desinfizieren.
    Eigentlich durfte er nichts von dem machen, was er sich immer erträumt hatte: Mia hochheben und herumschlenkern, sie abknuddeln und auf seinem Bauch herumturnen lassen … Aber er musste auch zugeben, dass das im Moment nicht möglich war. Er hatte immer noch Probleme mit seinem neuen Organ, und Claudia selbst hatte sich kürzlich einer Narbenbruch-OP unterziehen müssen.
    Dafür brachte Leo sich umso mehr ein. Er war der Einzige, der die Kleine bändigen konnte, und das auch nur mit reiner Körpermasse. Die ersten Worte, die sie mit dunkler und heiserer Stimme von sich gab, waren Neno (Leo), Nana (Mama) und nei (nein). Nicht Appa (Papa).
    Insgesamt hing sie mit ihrer verbalen Entwicklung etwas zurück, trotz ihrer zwei Jahre. Aber vielleicht war das kein Wunder. Schließlich lernte sie gleich vier Sprachen auf einmal: Französisch, Englisch, Hochdeutsch und Bayerisch. Dieser Mischmasch schien sie etwas zu verwirren. Es hätte Claudia aber nicht gewundert, wenn sie sich letztlich für Französisch entschied. Sie war nun mal ein Leo-Kind, und die Eltern rangierten in ihrer Gunst eher weiter unten. Neno war Abenteuer, Spaß und stürmische Hoppereiterritte auf wippenden Knien, bei denen er sie anfeuerte: „Allez, allez, ma puce!“ Claudia und René hingegen waren Kuscheln, Bilderbuch angucken und langweiliges Nichtstun auf dem Sofa oder im Ehebett.
    Manchmal stellte Leos Beharrlichkeit und seine ständige Präsenz sie vor arge Probleme, aber nach einem

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