Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie
oder einem selbstgebauten Krümmer. Politisches spielte da keine Rolle. Höchstens das Meckern über all das, was es nicht zu kaufen gab.
Ein paar Tage später kam ein Kollege aus einem anderen Jahrgang zu mir an meinen Arbeitsplatz. „Guten Tag, ich habe gehört, du bist nicht Mitglied in der Freien Deutschen Jugend. Wir sollten uns mal unterhalten. Vielleicht könnten wir für die nächsten Tage einen Termin nach der Arbeit machen, um uns zu treffen.“
Ich redete sofort Klartext: „Wir können es gleich kurz machen. Wenn du mich für die FDJ gewinnen willst, brauchst du dir keine Mühe zu geben. Ich werde niemals diesem Verein beitreten, also können wir auf so ein Gespräch auch verzichten. Ich bin nicht freiwillig aus der Bundesrepublik in die DDR gekommen und habe vor, wenn ich 18 bin, diese wieder zu verlassen. Also spar dir die Mühe!“
Der verdutzte FDJ-Sekretär zog dann ohne ein weiteres Wort ab und ward nie mehr bei mir gesehen. Wäre ich ein „normaler“ DDR-Bürger gewesen, hätte er sich wahrscheinlich nicht so leicht abschütteln lassen, und ich hätte mit Konsequenzen rechnen müssen.
In der Berufsschule in Berlin-Pankow traf ich nun auf eine andere Klasse. Die Schüler kannten sich schon untereinander durch den Betrieb und die vormilitärische Ausbildung. Ich war neu und kam auch zwei bis drei Tage später in die Klasse. Ein einziger Platz hinten links am Fenster war noch frei. Neben mir saß Peter. Er sollte mein einziger Freund während der ganzen Zeit in der DDR werden. Warum? Weil er neben mir saß; weil er eine Mischung aus Naivität, Neugierde und Blauäugigkeit an sich hatte, weil er einerseits Interesse an mir und meiner Geschichte hatte, andererseits aber nicht zu viel nachfragte. Obwohl sein Vater Musiker im Stasi-Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ war, hatte Peter keine Vorurteile, wertete nicht immer gleich, sondern hörte erst einmal zu. Oder einfacher gesagt: Bei Peter hatte ich einfach kein komisches Gefühl im Bauch.
Die Berufsschule fiel mir nicht sonderlich schwer, da das Niveau nicht so hoch war wie im Gymnasium. Es gab zwar hier auch das Fach Staatsbürgerkunde, aber sonst war von dem politisch-ideologischen Druck nicht so viel zu spüren wie in der EOS.
Ich habe auch nicht weiter erzählt, wo ich herkomme. Aber schon mein Grundwissen aus der Schule und manche Verhaltensweisen waren doch anders als bei den anderen. Auch der Wortschatz und manche Begriffe unterschieden sich. Manchmal wird einem ja mit einem Satz klar, dass man fast von einem anderen Stern kommt. Und ich war es nicht gewohnt, mit zwei Zungen zu sprechen. Also hielt ich in Staatsbürgerkunde lieber den Mund und lavierte mich irgendwie durch.
Mehr oder weniger durch einen Zufall wurde auch hier der ganzen Klasse bekannt, dass ich aus dem Westen kam. Das Klassenbuch verriet es. Schüler schauen ja gelegentlich einmal in das Klassenbuch rein, mal sehen, was da so alles drin steht. Dort standen auf jeden Fall auch persönliche Informationen über die einzelnen Schüler, wie Adresse, Geburtsdatum und eben auch der Geburtsort.
Ein Schüler rief mir in der Pause quer durch die Klasse zu: „Sag mal, Thomas, stimmt das, dass du in Hannover geboren bist?“
Plötzlich in der ganzen Klasse fragende Stille.
Ich antwortete nur ganz knapp: „Ja, das stimmt.“
Der Schüler: „Aha!?“
Mehr passierte in diesem Moment nicht. Aber es lag eine Spannung in der Luft. Dieser Fall war nicht vorgesehen, dass ein im Westen Geborener in der DDR lebte. Nach und nach kamen mehrere Mitschüler zu mir und fragten, ob das denn stimme und wie es komme, dass ich jetzt hier leben würde. Ich erzählte wieder die gleiche Legende, damit sie nicht weiter nachfragten. Die Reaktionen waren auch immer die gleichen. Schweigen. Jeder dachte sich seinen Teil, akzeptierte meine Antwort, glaubte sie aber nicht. Besonders interessiert haben sie sich für meine gesammelten Auto-Zeitungen, die dann in der Klasse ganz gut rumgingen. Ich habe aber auch offiziell gesagt, dass ich nach Beendigung der Lehre wieder nach Hannover zurückkehren werde. Punkt. Aus. Kein weiterer Kommentar. Klar gab es Fragen – wir lernten ja Autoschlosser, also ein Handwerk: Sie hätten gehört, dass es im Westen im Baumarkt einfach alles zu kaufen gäbe… Was sollte ich anders tun, als ihnen Recht zu geben?
Mein Banknachbar Peter hatte schon früher, eigentlich gleich am ersten Tag, gesehen, dass bei mir irgendetwas anders ist.
Als ich meine Schulutensilien,
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