Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie
der Militärparaden aus Ostberlin an. Absolut unvorstellbar, wie er daran Gefallen finden konnte! Marionetten im preußischen Stechschritt, Raketen, Granatwerfer, blitzende Bajonette, zu Masken erstarrte Gesichter, der salutierende Honecker. Aber das war für meinen Vater offensichtlich völlig in Ordnung. Was für eine einseitige Haltung im Vergleich zwischen beiden Systemen! Allerdings war so eine Einstellung auch nicht gerade selten anzutreffen, auch andere schwärmten von der DDR, in der sie ja nicht leben mussten. Vielleicht waren die anderen aber weniger extrem.
Mit zunehmendem Alter nervte mich aber, dass mein Vater ständig DDR-Fernsehen schaute. In Hannover konnte man das sehr gut empfangen, der Sender auf dem Brocken im Harz strahlte bis weit in den Westen hinein. Seit dem Tag der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in München 1972 besaßen wir einen Farb-Fernseher. Die DDR benutzte allerdings ein anderes Farbsystem, so dass die DDR-Programme bei uns nur schwarz-weiß ankamen. Für mich war das DDR-Programm öde und langweilig, besonders die „Aktuelle Kamera“, die halbstündige Nachrichtensendung, die mein Vater jeden Abend halb acht ansehen musste. Furchtbar war das! Jeweils 3 Minuten alleine für die Titel von Erich Honecker, 20 Minuten über die „Erntekapitäne“ bei der Getreideernte, 10 Minuten Plan-Kennziffern, Überfüllung überall, 15 Minuten Rundgang Erich Honecker auf der Leipziger Messe… „Tagesschau“ oder „heute“ existierten für meinen Vater gar nicht. Pflichtprogramm war für ihn natürlich auch der „Schwarze Kanal“ von und mit Karl-Eduard von Schnitzler, dem größten Hetzer und Verfälscher von Nachrichten, den das Fernsehen dort aufzubieten hatte. Das erzeugte natürlich immer mehr Widerstand von meiner Seite, je älter ich wurde. Für mich hat der Alte gesponnen, für meinen Bruder auch. Wir machten schon heimlich Witze über ihn, die wir immer weniger vor ihm geheim hielten, je älter wir wurden. Er begründete sein seltsames Verhalten damit, dass er sich von allen Seiten informieren wolle, um sich ein umfassendes, möglichst objektives Bild machen zu können. Er läse schließlich regelmäßig die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ und den „Spiegel“. Es kam mir schon komisch vor, aber ich habe es geschluckt. Schließlich waren wir ja so aufgewachsen. Je älter wir wurden, umso mehr rebellierten aber mein Bruder und ich dagegen: „Was willst du denn mit diesem blöden Ost-Fernsehen, das ist doch totlangweilig!“ Es interessierte ihn nicht. Mein Vater schaute im DDR-Fernsehen aber nicht nur die politischen Sendungen; er sah eigentlich alles. Oberliga der DDR statt Fußball-Bundesliga. „Vier Panzersoldaten und ein Hund“. „Das unsichtbare Visier“ mit Armin Müller-Stahl: Ein Stasi-Agent im heldenhaften Kampf gegen die Alt-Nazis im Westen. Sein absoluter Favorit bei den Unterhaltungssendungen war „Ein Kessel Buntes“, wobei der bunte Kessel bei uns schwarz-weiß blieb. Allerdings haben wir Kinder auch „unser“ West-Fernsehen gesehen. Da mein Vater immer erst abends von der Arbeit nach Hause kam, sind wir mit der „Sendung mit der Maus“, mit „Sesamstraße“, „Bonanza“, „Flipper“, „Lassie“ und natürlich auch „Raumschiff Enterprise“ aufgewachsen. Die eine oder andere Unterhaltungssendung am Abend war auch mal drin. Es lief ja nicht immer „Ein Kessel Buntes“…
Die Konflikte um das richtige Fernsehprogramm hat mein Vater dann irgendwann entschärft, indem er uns einen eigenen kleinen Fernseher für das Kinderzimmer schenkte. Wir konnten seitdem sehen, was wir wollten. Das entsprach, zumindest was die politischen Sendungen anging, nicht gerade seinem Geschmack … Außerdem war es ein Schwarz-Weiß-Fernseher. Ich schaute also mit meinem Bruder Farbsendungen in Schwarz-Weiß, mein Vater schaute im Wohnzimmer schwarz-weiß auf dem Farbfernseher.
Eine weitere im Nachhinein wundersame Episode ereignete sich irgendwann Ende der 70er im elterlichen Schlafzimmer. Jugendliche sind manchmal neugierig. Ich fand im Kleiderschrank meiner Eltern ein kleines, ziemlich altes Kofferradio, das ein besonders breites Kurzwellen-Frequenzband besaß. Mein Vater erwischte mich dabei, als ich es mir genauer ansehen wollte, wurde fuchsteufelswild und nahm mir das Radio sofort weg. Ich war reichlich erstaunt über seine heftige Reaktion. Es war doch nur ein altes Radio! Ich habe es nie wieder gesehen. Später erfuhr ich: Mein Vater hat es
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