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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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Gestaltung“ oder Grafik-Design zu probieren, da ich im Kunst-Unterricht ziemlich gut war und zu Hause im Gymnasium dieses Fach auch als Leistungs-Fach gewählt hatte. Daraufhin machten die Stasi-Leute einen Termin mit dem Leiter der Fachschule für Werbung und Gestaltung in Berlin-Schöneweide. Also fuhren mein Vater, der Stasi-Mann „Willi“ und ich im Juli zu einem Gespräch hin und nahmen zu diesem Zweck auch einige von mir im Kunstunterricht angefertigte Arbeiten mit, die ich aus den Umzugskartons im Haus in Mahlsdorf herausgesucht hatte. Es wurde ein sehr merkwürdiges Gespräch. Der Leiter dieser Fachschule begutachtete das, was ich mitgebracht hatte, und lobte mich dann, dass die Arbeiten überdurchschnittlich gut wären. Besonders wenn man in Betracht zieht, dass ich das alles im Kunstunterricht der Schule gemacht hätte. Er bescheinigte mir Entwicklungspotenzial. Aber war das ernst zu nehmen? Ich hatte sofort den Eindruck, dass er von meinen gestalterischen und künstlerischen Fähigkeiten nicht besonders überzeugt war. Da aber die Stasi die Finger mit im Spiel hatte, ja sogar dabei saß, war er merklich vorsichtig und hätte mich wohl auf jeden Fall genommen. Auch hier lief vor mir gleich wieder der Film ab, dass ich nur von Gnaden der Staatssicherheit dort aufgenommen werden und natürlich alle Abschlüsse erhalten würde. Vielleicht würde ich die erforderlichen Leistungen ja bringen, wahrscheinlicher wäre es aber, dass ich es unter den gegebenen Umständen nicht so gut machen würde wie die Kollegen, was mich schon wieder in eine besondere und vor allem unangenehme Position bringen würde. Alle würden doch munkeln, dass die Stasi dahinter stecke, dieses widerliche Etikett würde mich dann mein ganzes Leben lang verfolgen, was ich unbedingt vermeiden wollte. Deshalb wurde ich in diesem Gespräch sehr schnell einsilbig und wollte nur noch schnell raus. Es dauerte dann auch nicht mehr sehr lange. Mein Vater war draußen vor der Tür richtig wütend auf mich, ich solle mir doch nicht alle Chancen verbauen! Gerade von ihm hätte ich erwartet, dass er in der Situation begreift, was in mir vorgeht. „Willi“ schüttelte nur den Kopf über mein Verhalten. Ich sagte nur: „Lasst mich in Ruhe! Ich werde diese Ausbildung nicht machen.“

Neue „Heimat“
     
    Irgendwann im Sommer wurden unsere Wohnungsmakler von der Stasi doch noch fündig. In der Leipziger Straße gab es regelrechte Luxus-Plattenbauten. Unsere neue Wohnung befand sich im 11. Stockwerk eines 22-stöckigen Hochhauses, direkt neben den Spittel-Kolonaden in Berlin-Mitte. Eigentlich sollte sie uns gar nicht angeboten werden, aber sie hatten einfach keine andere gefunden, die unseren Ansprüchen annähernd genügt hätte. Sie hatte drei normal dimensionierte Zimmer mit genügend Platz für unsere Möbel. Bei der Besichtigung fanden wir eine komplett möblierte Wohnung vor, die aber völlig unpersönlich und unbewohnt aussah. Wir vermuteten eine Gästewohnung der Stasi. Heute würde ich wohl eher darauf tippen, dass es eine konspirative Wohnung war. Es war sogar ein funktionierendes Telefon vorhanden, was in der DDR in einer Privatwohnung ganz und gar ungewöhnlich war. Mit Sicherheit war die Wohnung auch verwanzt. In diesen Häusern lebten auch nur Leute, die dem Staat nahe standen, Parteimitglieder waren, bei Polizei, Armee oder der Stasi arbeiteten. Die vergleichsweise gute Ausstattung der Häuser spielte sicherlich ein Rolle, aber besonders die Lage. Direkt gegenüber von unserem Balkon befand sich das „Springer-Hochhaus“; wir hatten also einen sehr guten Ausblick nach West-Berlin, nach Kreuzberg. Dazwischen stand die Berliner Mauer, die ja eigentlich aus zwei Mauern bestand. Zwischen der, die vom Westen aus bunt bemalt war und der sogenannten Hinterlandmauer war noch ein breiter Streifen „Niemandsland“ mit weiteren Sperranlagen wie Stacheldrahtzäunen, Panzersperren und Hundelaufanlagen. Den Westen hatten wir so immer im Blick, ganz nah, aber unerreichbar. Auch eine Foltermethode! Ich hätte am liebsten gleich eine Seilbahn gespannt. Nachts lieferte diese Anlage ein gespenstisches Bild. Zwischen den Mauern helle, orangefarbene Beleuchtung, keine Menschenseele zu sehen, höchstens mal Grenzposten, die mit ihren offenen Trabis oder MZ-Motorrädern den Postenweg entlang fuhren. Dazu hörte man häufig Hundegebell. Dahinter glitzerte der Ort meiner Sehnsucht, West-Berlin mit der Leuchtreklame am Springer-Hochhaus, ein paar

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