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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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immer mal gerne über die Verhältnisse in der DDR, stellten aber das System insgesamt nicht in Frage. Trotzdem verteidigte mein Vater die DDR bei solchen Diskussionen. Sehr seltsam! Ob er sich damals anbiedern wollte? Ob er die DDR wirklich so toll fand? Darüber machte ich mir damals, als normaler West-Junge, so meine Gedanken.
    Mein Vater arbeitete (und spionierte) bei der Preussag in Hannover. Er war bei seiner Arbeit sehr engagiert, bildete sich weiter. Er wurde häufiger von der Firma auf Dienstreise geschickt, innerhalb von Deutschland, aber auch nach Amsterdam, Mailand und häufiger nach West-Berlin, zu Kongressen und Weiterbildungen. Manchmal konnten wir ihn dabei begleiten. Auch nach Berlin sind wir ein paar Mal gefahren bzw. geflogen. Natürlich haben wir uns auch Ost-Berlin angesehen, per Tagesticket, Eintrittspreis 25,- DM. Ich kann mich erinnern, dass wir in Ost-Berlin plötzlich einem Mann vorgestellt wurden, den mein Vater offensichtlich gut kannte. Er sagte: „Das ist ein ehemaliger Kollege von der Wismut. Ich habe ihn hier ganz zufällig getroffen!“ Was für ein Zufall! Der „Kollege“ war sehr nett, sehr gesprächig und lud uns in ein gutes Restaurant zum Essen ein. Dabei handelte es sich um das Restaurant „Warschau“ in der Frankfurter Allee, der Verlängerung der Karl-Marx-Allee. Später erst, als wir selbst in der DDR leben mussten, wurde mir klar: Dieses Restaurant war der Treff von Mitarbeitern der Staatssicherheit. Das war allgemein bekannt. Dieser „Kollege“ war also auch ein Stasi-Mann. Übrigens brachte er uns – zuvorkommend, wie er war – gerade rechtzeitig kurz vor 0:00 Uhr zum „Tränenpalast“ zurück, dem Grenzübergang am Bahnhof Friedrichstraße.
    In Hannover hatten meine Eltern nicht besonders viele private Kontakte. Arbeitskollegen meines Vaters kannte ich nicht, bis auf eine Ausnahme. Ein Serbe, der mit einer Deutschen verheiratet war, hat uns immer mal wieder besucht, oder wir sind zu ihnen gegangen, auch manchmal zu Silvester. Mehr Kontakte gab es nicht. Meine Mutter hatte auch nur eine Freundin, eine andere Mutter, die einen Sohn im Alter meines Bruders hatte. Unter anderem halfen sich unsere Mütter immer bei unseren Geburtstagsfeiern. Mein Vater hielt sich da fast immer raus, er hielt regelrecht Abstand. Wir hatten auch kein Telefon zu Hause. Später erklärte er uns, wegen seiner konspirativen Arbeit habe er freundschaftliche Kontakte vermieden, um andere nicht in Gefahr zu bringen. Aha, und was war mit uns? Dass wir kein Telefon hatten erklärte er nunmehr damit, dass er zeitweise nicht erreichbar sein wollte, also sicher sein vor Anrufen seiner Auftraggeber aus Ost-Berlin. Das fand ich aber nicht ganz nachvollziehbar. Und überhaupt: Wie lebt man, wenn man immer zweispurig fahren muss, wenn man keine Freunde haben darf, aus Angst vor Dekonspiration, aus Rücksicht, andere nicht zu gefährden? Im Prinzip hat mein Vater das Doppelleben, das viele DDR-Bürger führten, mit zwei Meinungen – eine für zu Hause und eine für Schule oder Arbeit – im Westen geführt. Der Unterschied war nur, dass in der DDR jeder von der Doppelzüngigkeit wusste. Bei meinem Vater durfte bei Strafe der Dekonspiration niemand etwas davon merken.
    Das Verhalten und die Einstellung meines Vaters waren aber eigentlich sehr auffällig. Ich wusste, dass seine Weltanschauung eher im linken Spektrum anzusiedeln war, aber wo genau, war mir nie klar. Er sagte auch nie, welche Partei er wählte. Im Gegensatz zu meiner Mutter, die aus ihrer Vorliebe für die SPD keinen Hehl machte. Ich erinnere mich an meine Kinderzeit, in der mein Vater z.B. die USA eher negativ und die Sowjetunion sehr positiv darstellte. Er trat uns gegenüber sehr pazifistisch auf; Spiele, in denen Waffen benutzt wurden, waren ein absolutes Tabu. Das ist nicht leicht für Jungs, die im Wald „Cowboy und Indianer“ spielen wollen. Zähneknirschend nur hat er zugelassen, dass mein Bruder und ich dabei mit Pistolen, Pfeil und Bogen kämpften. Ich habe auch sehr gerne Plastik-Modelle gebastelt, aber militärische Flugzeuge, Schiffe und erst recht Panzer waren strikt verboten. Sonderbarerweise hatte er überhaupt kein Problem damit, als ich irgendwann zu Weihnachten von Verwandten aus der DDR ein mit einem Kabel fernlenkbares Modell des sowjetischen Panzers T54 geschenkt bekam.
    Im DDR-Fernsehen sah sich mein Vater jedes Jahr am 1. Mai und am 7. Oktober, dem Jahrestag der Gründung der DDR, stundenlang die Übertragung

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