Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
leihen würde, damit mein Verwalter ihren Ertrag gleichmäßig unter sie aufteile, sonst trügen die Stärkeren auf Kosten der Schwachen den Löwenanteil davon; und ich versprach, wenn ich mit ihnen zufrieden wäre, solle jeder eine ganze Garbe zusätzlich erhalten.
Monsieur de La Surie beschwerte sich mir gegenüber einwenig über diese Großzügigkeit, doch hielt ich ihm entgegen, daß es nicht nur christlich sei, sich dieser Armen, die so nahe um uns lebten, zu erbarmen, sondern daß sie es uns gewiß auch danken würden, wenn sie sich das Ihre durch nicht einmal gefahrlose Arbeit verdienen könnten.
Meine lieben Nachbarn allerdings sangen mir ein ganz anderes Lied als Monsieur de La Surie, und so sang ich ihnen einen anderen Refrain.
»Bei Gott, Herr Marquis«, sagten sie, »Ihr verderbt uns das Bettelpack durch Eure unsinnigen Freigebigkeiten! Schon kommen die Unseren und verlangen für ihr Stoppeln das gleiche, aber weiß der Teufel, den Buckel werden wir ihnen verbleuen lassen.«
»Meine Herren«, sagte ich, »ein jeder gebiete auf seinen Feldern, wie er mag. Doch ich wette, daß ich auf meine Weise weniger bestohlen werde als Ihr.«
Worauf sie mich aus großen Augen ansahen.
»Wieso glaubt Ihr das?« fragte der alte Monsieur de Poussignot, der nicht ganz auf den Kopf gefallen war.
»Wir haben nicht Leute genug«, sagte ich, »das reife Korn, das vorm Schneiden noch eine Woche auf dem Halm stehen muß, bei Nacht zu bewachen. Das besorgen jetzt meine Stoppler.«
»Aber sie werden Euch bestehlen!«
»Was macht es, wenn sie hier und da eine Ähre nehmen, sie nehmen allemal weniger als der Dachs, von den Getreideräubern ganz zu schweigen.«
Ich weiß nicht, ob sie überzeugt waren, zumindest glaubten sie aber, daß ich aus Eigennutz so handelte, und zogen sich beruhigt zurück. Im übrigen waren es ja keine schlechten Leute; immerhin lebten sie auf ihren Gütern, inmitten ihrer Bauern, anstatt sich wie die hohen Herren ihr Korn und Holz in Seide an den Leib zu hängen und bei Hof umherzustolzieren, mochten ihre habgierigen Verwalter den Ackersmann auch auspressen, wie sie wollten. Das Gros der Beute findet nie in die Taschen des Herrn, wie jeder weiß.
Ich hatte auf Chêne Rogneux alle Hände voll zu tun, mein kleines Reich zu ordnen, und genoß die familiären Freuden und den frischen Sommer fernab vom stinkenden Paris. Doch am 7. September erreichte uns die verhängnisvolle Nachricht,daß eine Mehrheit am Gerichtshof für eine Vertagung des Jesuitenprozesses gestimmt hatte. Das hieß, die Sache war aufgeschoben zum Sanktnimmerleinstag! Diese törichte und gefährliche Entscheidung bekümmerte mich sehr, mir schien, daß der König dadurch viel mehr verlor, als er mit allen Städten seit dem Fall von Laon gewonnen hatte. Und als ich mich mit Monsieur de La Surie beriet, kochte uns der Zorn über dieses Ärgernis so im Herzen, daß wir beschlossen, umgehend nach Paris zurückzukehren. Nicht, daß unsere Rückkehr dringend notwendig gewesen wäre, die Niederlage der wahren Franzosen war nun einmal besiegelt durch einen kleinen Teil spanisierter und jesuitisierter Franzosen, die das Schweigen Seiner Majestät ausgenutzt hatten zugunsten der Reste der Liga. Doch aus einem Gefühl gegenwärtigen Unheils und der Furcht vor Künftigem wollten wir im Zentrum der Dinge sein.
Meine schöne Leserin verzeihe mir, daß ich hier so aufgebracht schreibe, ganz ohne meine gewohnte Mäßigung und Verbindlichkeit, doch kehren mir über diesen Zeilen all die Wut und Verzweiflung wieder, die mich bei der Nachricht erfaßte, daß das Hohe Gericht es nicht über sich gebracht hatte, diese mörderische Bande aus Frankreich zu verjagen! Noch einmal, schöne Leserin, vergeben Sie mir, aber nach so vielen Jahren noch kralle ich die Nägel in meine Hände und weine!
Ich war zwei Tage in Paris, als Pissebœuf mir zu später Stunde melden kam, da sei jemand am Tor, bis zur Nase in seinen Mantel gehüllt, und verlange mich zu sprechen, mich und niemanden sonst. Mit aller gebotenen Vorsicht näherte ich mich dem Guckloch und forderte den Mann auf, im Schein der Laterne, die Pissebœuf in die Höhe hielt, sein Gesicht zu enthüllen, auf daß ich erkenne, wer er sei. Er tat es, sobald er meine Stimme hörte, und im tanzenden Lichtschein erblickte ich das gute, runde Gesicht des Reimser Stadtleutnants Rousselet.
Ihn wiederzusehen nach alledem, was wir gemeinsam zu Reims durchlebt hatten, war eine große Freude, und kaum daß
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