Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Aufbruch nach Amiens verzögerte sich noch um eine Woche, weil Rosny einen Teil des angehäuften Goldes erst in Munition und Lebensmittel umwandeln mußte. Und ich nützte die Gnadenfrist, um meine Begleitmannschaft so zu verstärken, daß sie einem Überfall standhalten konnte und gleichzeitig wendig genug war, ihm von vornherein auszuweichen. Denn nicht das Kämpfen war entscheidend, sondern daß der kostbare Proviant den König schnellstmöglich erreichte. Deshalb verzichtete ich auf schwerfälliges Fußvolk und langsameKarren, nahm lieber nur Reiter und Reisekutschen, die, selbst wenn sie so schwer beladen waren, daß die Achsen sich bogen, noch allemal leichter rollten.
Mitten in diesen fieberhaften Vorbereitungen mußte ich erleben, wie unfaßlich rasch der französische Geist sich wendete. Da Amiens genommen war, glaubte alles, der König sei verloren, die Monarchie besiegt und das Reich besetzt, ein jeder dachte nur mehr an das Seine. Die Großen begannen wieder mit ihren endlosen Streitereien, der protestantische Adel hielt sich dem König vor Amiens fern, die Überreste der Liga erwachten jäh zu neuem Leben. Die falschesten Gerüchte, deren Ursprung aber sicherlich nicht unbegründet war, erschütterten Paris und versetzten das Volk in Unruhe. Kein Tag verging, an dem man nicht hörte, es sei erneut eine große Stadt gefallen. Und als wäre Amiens nicht genug, verkündete man die Einnahme von Poitiers … Die Heimtücke der Ligisten ging noch weiter. Sie verbreiteten das Gerücht, der König sei von einer tödlichen Krankheit befallen, seine Tage seien gezählt, man grabe ihm schon das Grab …
Drei Tage vor meinem Aufbruch nach Amiens kam Pissebœuf und berichtete mir zähneknirschend, als er letzte Nacht mit Poussevent in der Taverne »Zum Taler« eine Flasche geleert habe, hätten am Nachbartisch ein Halbdutzend Kerle auf das Wohl und den Erfolg des Königs von Spanien getrunken. Sodann hätten sie ihre Dolche gezückt und unter Flüchen und Drohungen den Wirt und seine Gäste gezwungen, ihnen beizustimmen. Da es nun Poussevent und ihm sehr am Herzen liege, Vergeltung zu üben, und da er von dem Wirt gehört habe, daß besagte Kerle allabendlich zur selben Stunde dort ihre Becher leerten, wolle er, wenn ich es erlaubte, mit Poussevent und vier oder fünf meiner Leute hingehen und diesen spanisierten Franzosen ein wenig den Rost reiben.
Was mich anging, der ich diese Erlaubnis weder verweigern noch ohne Einschränkung erteilen mochte, konnte dabei doch leicht einer zu Tode kommen, so beschloß ich, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, indem ich aber einige Vorsichtsmaßregeln traf und als erstes Polizeichef Pierre de Lugoli über Ort und Stunde informierte. Des weiteren ließ ich meine Leute Kettenhemden unter die Wämser ziehen, und Faujanet mußte uns ein paar gute Knüppel schneiden, die einer meiner Leute vor Eintreffen jener Großmäuler im dunkelsten Winkel der Taverneverbarg. Ich selbst legte das Wams aus dickem Büffelleder an, das mir gute Dienste geleistet hatte, als ich nach der Einnahme von Paris den Lumpen Bahuet aus meinem Haus vertrieb.
Wir betraten bei Dunkelwerden die Taverne lange vor besagten Wirrköpfen, die in ihrer fanatischen Verblendung lieber unterm Joch des Spaniers und der Inquisition leben wollten als unter dem milden Gesetz ihres natürlichen Herrschers. Die Schenke war noch fast leer, ich setzte mich allein an den Tisch neben jenem, den diese ligistischen Banditen nach Angabe des Wirts einzunehmen pflegten, und versteckte meinen Knüppel zwischen den Beinen. Ebenso hielten es meine Begleiter, die, den Hut tief in die Stirn gedrückt, am Tisch hinter mir Platz nahmen, der Chevalier de La Surie, der lange, hagere Pissebœuf, der dicke Poussevent, mein Majordomus Franz und mein Kutscher Lachaise.
Da es eine Weile dauerte, bis die Ligisten eintrafen, trank ich einen halben Becher, scherzte mit der hübschen jungen Bedienerin und bat sie, mir eine zweite Kerze zu bringen.
»Liebe Zeit«, sagte sie, »fürchtet Ihr, der Becher findet Euren Schnabel nicht? Was gibt es hier viel zu sehen?«
»Dich«, sagte ich leise, »und deinen schmucken Busen.«
»Gebenedeite Jungfrau!« versetzte sie lachend, »ein netter Galan, der sich mit dem Ansehen zufriedengibt.«
Inzwischen traten andere Gäste herein, und das Mädchen eilte, deren Bestellungen entgegenzunehmen, nicht ohne mir dann und wann einen verstohlenen Blick oder ein Lächeln zu schenken.
Endlich kamen die erwarteten
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