Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
die Augen sehend, »leg auf mich an, du Meisterschlächter, wenn du dich traust!«
»Klar trau ich mich«, sagte Martinet und streckte die Hand nach seiner Pistole, doch konnte er sie nicht ergreifen: Flugs war Miroul hinter ihm, lähmte seinen Hals mit der Zwinge seines Unterarms und fesselte besagte Hand.
»Du hast eine feiste Rechte, Meister Großmaul, aber Mirouls Messer ist gut geschliffen, das schneidet dir rein wie in Butter, wenn du nur zuckst!«
Einer der Gesellen – ein einziger von sechs, so mutig waren sie! – versuchte seinem Chef beizuspringen und sein Messer zu schnappen, doch kam seine Hand nur bis zum Tischrand, denn ich schlug ihm, wie versprochen, aufs Handgelenk. Die übrigen Hanswurste ließen sich von meinen Männern entwaffnen und binden wie Ochsen im Stall. Als die anderen Gäste es sahen, standen sie alle auf und schimpften, man solle die Taugenichtse auf der Stelle aufknüpfen. Franz und Lachaise drängten sie jedoch mit ihren Knüppeln zurück, und ich brachte die verspäteten Helden auf christlichere Gefühle, indem ich jedem eine Flasche auf Martinets Kosten anbot, wenn sie auf die Gesundheit des Königs trinken wollten, was sie mit Freuden versprachen.
Wie Deus ex machina erschien Lugoli mit seinen Sergeanten in der Taverne und fragte, ohne mich noch La Surie anscheinend zu kennen, nach dem Grund des Krawalls, den er im Vorbeigehen auf der Straße vernommen. Weder der Wirt noch die Gäste scheuten sich, das Vorgefallene zu berichten, wobei letztere Martinet noch schwärzer machten, als er schon war. Unsere Ligisten wurden mit hängenden Köpfen und sehr betroffenen Mienen, weil sie sich schon am Galgen sahen, abgeführt. Die Gesellschaft schrie aus voller Kehle: »Es lebe der König von Frankreich!« und trank wie zerlöcherte Stiefel.
Wer hätte gedacht, Leser, daß in einer Stadt von dreihunderttausend Einwohnern wie Paris sich das Pech Martinets und seiner Gesellen verbreiten würde wie ein Lauffeuer, vom Viertel Saint-Denis bis in die Cité und von der Cité bis nach Hulepoix, ja, daß mir die Sache am nächsten Tag zweimal zugetragen werden würde, einmal von Fogacer und ein weiteres Mal von Pierre de l’Etoile, der sich vor Lob und Freude nicht zu lassen wußte, daß das gute Volk in einer Schenke »ganz spontan« das großmäulige Geschrei dieser unausrottbaren Ligisten niedergeschlagen habe, die wie Quecken aus dem Mist unseres Unglücks sprossen. Dennoch, Leser, kann ich Ihr mitleidiges Herz beruhigen, die Farce endete nicht tragisch. Martinet und die Seinen mußten nicht ihren letzten Blick durch eine Hanfschlinge zum Himmel senden, sie saßen nur einige Monate in der Bastille ein, die zwar nicht der annehmlichste Aufenthalt ist, aber doch nicht so kalt wie die Seine, die sie mir zugedacht hatten.
ZWÖLFTES KAPITEL
Der Leser möge mir vergeben, daß ich ihm diese Schenkengeschichte erzählt habe, wird er doch zweifellos meinen, daß sie angesichts der Gefahr der Stunde eine Lappalie war. Das ist gewiß richtig, und trotzdem war sie eine gute Lehre für diese miesen Pariser Ligisten, die uns schon an den spanischen Spieß stecken wollten, ehe sie uns gefangen und gerupft hatten. Ganz nach dem Muster unserer Großen, etwa des Grafen von Soissons, dem der König zweimal vergebens schrieb, er solle zu ihm nach Amiens kommen; wie Graf von Auvergne, der den Hof mit der Begründung verließ, man habe ihn noch nicht zum Herzog gemacht; oder des Vicomte de Tavannes, der Seiner Majestät vor Amiens wutschnaubend vorwarf, Sie habe ihm das versprochene Marschallamt noch immer nicht gegeben, darauf stracks desertierte und in Paris Unruhe stiftete, so daß Monsieur de Vic ihn in die Bastille sperren mußte.
Was nun die Räuberei angeht, so sparte ich bei meinen Begleitzügen von Paris nach Amiens nicht an Vorsichtsmaßregeln, galt es doch, einen Berg Nahrungsmittel durch ein hungerndes Land zu transportieren und hundertfünfzigtausend Ecus mitten durch ein ruiniertes Königreich – und das über vierzig Meilen 1 , was also nicht in einer Etappe zu machen war, auch in zweien nicht, und wahrhaft den Teufel herausfordern hieß. Wie schon gesagt, ich hatte eine Eskorte gewählt, die noch schneller war als stark, ohne Fußvolk, durchweg aus Kavallerie bestehend, aber leichter Kavallerie (die gleichwohl reichlich mit Feuerwaffen gerüstet war), und aus demselben Grund hatte ich anstatt von Lastkarren durchweg Kutschen genommen, deren Achsen ich verstärken ließ. Für den Fall
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