Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Hosen fallen, so daß ich allein hineinschlüpfen mußte, lief zu besagter Tür, bückte sich und legte erst ein Auge dran und dann das andere.
»Moussu«, sagte er triumphierend, »nur ein wenig Geduld. Ich denke, das kriege ich auf.«
»Wahrhaftig?«
»Wahrhaftig! Wie Meister Tronson sagt: Das hat den Fuß noch nicht gehoben, da seh ich schon die Sohle.«
»Wovon redest du?«
»Von dem Schloß! Moussu«, fuhr er mit unendlich stolzer Miene fort, »Pissebœuf wäre nicht Pissebœuf, wenn er vor so einem beschissenen kleinen Schloß kapitulieren würde. Moussu, wie heißt auf spanisch: Ich muß noch mal in den Pferdestall?«
»Tengo que regresar a la caballeriza.«
»Moussu, mit Eurer Erlaubnis und der unserer Wächter gehe ich! Und bin gleich zurück mit allem, was ich brauche.«
Dieses »gleich« dauerte gute zehn Minuten, und in deren Verlauf ereignete sich etwas, das meine Gedanken änderte, denn durchs Fenster, das ich gleich anfangs dem schönen sonnigen Morgen geöffnet hatte, hörte ich Gesang, von Viola und Laute begleitet, weiblichen Gesang, klar und köstlich wie liebliches Gewässer. Hatte ich vorher den Kopf mit den Widrigkeiten unserer Lage voll gehabt, fühlte ich mich durch diese kristallenen Töne jäh befreit und gereinigt. Und ganz entzückt, mit pochendem Herzen, den Kopf von diesem Gesang erfüllt, der belebend und verjüngend durch alle Bahnen meines Körpers strömte, eilte ich, halb angekleidet, zum Fenster und versuchte die Sirene zu erspähen. Weil ich aber nur einen großen Platz unter mir sah, über den Karren rollten, sagte ich mir, daß die Nachtigall sich wohl in den Gemächern unter mir befand und daß ihr Gesang durch ihre eigenen, ebenfalls der Sonne geöffneten Fenster zu mir heraufdrang.
Immer noch lauschend, vollendete ich meinen Anzug – zu Ehren des Herzogs der schönste, den ich im Gepäck hatte: ein mattblaues Wams, besetzt mit zwei Reihen Perlen –, und im Geist nun weniger mit den Gefahren der Stunde beschäftigt als mit dem melancholischen Gesang der Unbekannten, ergab ich mich den tollsten Träumen, glaubte ich doch sicher, daß eine so wunderbare Stimme nur der allerschönsten Brust entströmen könne. Aber so geht es nun einmal mit der Einbildung eines Mannes, der das andere Geschlecht vergöttert: Das sage ich ohne alle Prahlerei, denn ich glaube gewiß, wenn ich verdammt würde, mein Haupt auf den Richtblock zu legen – wie das in diesem Reims leicht geschehen konnte –, und ginge mit auf den Rücken gebundenen Händen meinen letzten Gang durch die Straßen, würden meine Augen sich inmitten der Gaffer noch immer an ein liebliches Antlitz und einen runden Busen heften.
So weit war ich, als meine Zimmertür aufging.
»Moussu«, sagte Pissebœuf, hinter dem, nun auch vom Treppensteigen schnaufend, der dicke Poussevent erschien, »ich habe alles, was ich brauche.«
»Was soll denn das?« rief ich verwundert. »Ein bißchen Mehl, ein Stück dickes Papier und ein Draht?«
»Moussu, das genügt«, sagte Pissebœuf, und stolz auf sein Latein, setzte er hinzu:
»Credite mihi experto«
, 1 schließlich war er, wie schon erwähnt, Kirchendiener gewesen, bevor er Hugenotte wurde und das Waffenhandwerk ergriff.
»Herr Marquis«, sagte einer der Edelleute von Quéribus, welcher in der Tür erschien, »soeben meldete ein spanischer Hauptmann die Ankunft des Herzogs, und Euer Herr Schwager bittet Euch zu kommen.«
»Vielen Dank, Monsieur«, sagte ich artig. »Pissebœuf, schließ gut hinter mir zu, und mach dich ans Werk.«
Doch ehe ich die Schwelle überschritt, säumte ich und lauschte abermals, doch vergebens. Laute, Viola und Gesang waren verstummt.
Daß das Gefieder meines lieben und höfisch eleganten Quéribus das meine an Glanz überstrahlte, kann sich der Leser vorstellen, und sowie ich mich zu ihm gesellte, hieß er die beiden Herren hinter uns Aufstellung nehmen, beklagte aber aufsneue diese klägliche Suite, die ihn geradezu entehrend dünkte, war er doch ganz der Mann des vorangegangenen Regimes (dessen Sprache er auch beibehalten hatte), liebte Pomp und Zeremonien und hatte sehr viel zu mäkeln an Navarras rauhbeiniger Einfachheit.
»Messieurs«, sagte er, »ich könnte rasen, daß wir den Herzog nicht würdiger empfangen können! Zwei Edelherren für zwei Marquis! Sapperlot, wie üppig! Ihr dürft versichert sein, daß ich das diesem Hanswurst aus niederem Haus, der sich Herzog von Rethel zu nennen wagt, bis ans Ende der Zeiten nachtragen werde!
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