Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
öffnete und Miroul zum Oberstock hinaufstieg, um den Schlüssel zu holen, den wir im Schloß hatten stecken lassen und der, wie der Leser gewiß noch weiß, auch zu Madame de Saint-Pauls Gemächern führte.
Kaum eingedrungen, überprüfte ich den Abzug meiner Pistolen, doch steckte ich sie wieder in den Gürtel und ergriff statt ihrer meine Dolche, um die Raubgesellen lautlos zu überrumpeln. Meine kleine Truppe machte es auf mein Geheiß ebenso, doch muß man bei solcherart Unternehmungen, wie der König sagte, »viel auf den Zufall setzen«. Und wenn der uns zunächst auch lachte, indem zwei auf dem Weg betroffene Maraudeure stillschweigend erledigt wurden, so konnte der dritte vorm Aushauchen doch noch »Hilfe!« rufen, also daß nun Alarm gegeben war, und so sahen wir denn beim Eintritt in den kleinen Salon Madame de Saint-Paul schreckensbleich an einer Wand stehen, während ein Räuber ihr mit der Linken eine Pistole vor die Brust hielt.
»Malevault!« schrie ich verblüfft und bedeutete meiner Truppe zurückzubleiben. »Zum Teufel, dich hier zu treffen, hätte ich nicht erwartet!«
»Ein Wunder wär’s«, sagte Malevault, »wenn Ihr mich nicht hier treffen würdet. Marquis, beliebt die Finger von Euren Pistolen zu lassen, wenn Ihr nicht wollt, daß Madame de Saint-Paul ein Loch im Busen hat, es würde ihren Charme beschädigen.«
Was half es? Ich mußte meine Hände sinken lassen und an meinen Händen die nutzlosen Dolche. Dabei hatte Malevault nur fünf, sechs Kumpane bei sich, mit schlechten Messern bewaffnet; so kriegsmäßig gerüstet, wie wir waren, hätten wir sie im Handumdrehen niedergemacht ohne diese flammende Pistole, die das rothaarige Skelett auf sein Opfer richtete.
»Na schön!« sagte Malevault und hob die schweren Lider. »Wir können uns einigen.«
»Einigen? Worüber?« fragte ich.
»Über die kleine Schatulle hier«, sagte Malevault, der tatsächlich den Fuß darauf gestellt hatte. »Ich würde sie gern mitnehmen als meine Beute.«
»Aber das ist alles, was ich habe!« rief Madame de Saint-Paul kreideweiß.
»Das war es, Madame«, sagte Malevault mit spöttischer Höflichkeit, ohne aber den Pistolenlauf auch nur einen Deut zurückzunehmen.
»Malevault«, sagte ich, mich dumm stellend, »ich weiß wirklich nicht, wie du Madame de Saint-Paul um die Schatulle bringen willst, wenn ich hier bin.«
»Ich schon«, meinte Malevault.
»Wirf einen Blick durchs Fenster«, sagte ich, »das Haus ist von unseren Leuten umstellt.«
» Einen
Ausweg gibt es«, sagte Malevault mit dünnem Lächeln, »da, wo Ihr hereingekommen seid und wozu Ihr offenbar den Schlüssel habt.«
»Aber den habe ich.«
»Schön. Ihr gebt mir den Schlüssel, und wir ziehen ab, samt Schatulle und Madame de Saint-Paul, die ich freilasse, sobald wir in Sicherheit sind.«
»Mein Pierre«, raunte hinter mir eine wohlvertraute Stimme auf okzitanisch, »halt ihn mit Reden hin, und sowie ich dir eine Hand auf die Schulter lege, bück dich blitzschnell.«
»Malevault«, sagte ich, »deine Undankbarkeit macht mich staunen: Gestern abend habe ich deine Wunde gereinigt und verbunden, ich habe dich vorm Strick bewahrt, habe dir fünfundzwanzig Ecus gegeben, und heute hast du die Stirn, dich derart aufzuführen.«
»Ha, Marquis!« sagte Malevault, leicht auflachend, »Ihr macht Witze. Die fünfundzwanzig Ecus hab ich redlich verdient,weil mein lumpiges altes Messer schneller war als Bahuets funkelnagelneue Pistole hier«, fuhr er fort, indem er, um sie vorzuzeigen, sie kurz von Madame de Saint-Pauls Busen nahm. »Wie versprochen, so gehalten; aber jeder Tag hat sein Geschäft. Und dieses heute ist meins: Madame de Saint-Paul gegen einen kleinen Kasten.«
»Und wer garantiert mir«, wandte ich ein, »daß du Madame de Saint-Paul freiläßt, sobald du in Sicherheit bist?«
»Marquis«, sagte Malevault, indem er sich hochmütig reckte und mich halb ernst, halb scherzend ansah, »so wahr ich zum heiligen Rémi bete, ich habe meine Ehre.«
In dem Moment fühlte ich eine Hand sich von hinten auf meine Schulter legen, rasch bückte ich mich, hörte über meinem Kopf ein Pfeifen, dem ein dumpfer Aufprall folgte, und sah Mirouls Messer in Malevaults Brust wippen. Der riß weit die Augen auf, ließ seine Pistole fallen und sank ohne einen Seufzer zu Boden. Meine Leute feuerten wie wild auf ihn und die anderen Plünderer, doch ich gebot der Schießerei Einhalt und tat gut daran, denn die Nicht-Getroffenen stürzten davon und
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