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Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Engel hoben ihn auf, bekränzten ihn mit der Märtyrerkrone und trugen ihn auf ihren Schultern empor zum Himmel. Die Märtyrerkrone war aus Pappe, die Engelsflügel auch.«
    »Wie wurde der Himmel dargestellt?«
    »Durch das Podest der Treppe, die zur Aula führte.«
    »Und der Herrgott?«
    »Durch ein Kreuz, das in einem durchlöcherten Schemel steckte. Dorthin wurde der heilige Jacques Clément von den Engeln getragen und zur Rechten besagten Kreuzes auf einen anderen Schemel gesetzt.«
    »Anders ausgedrückt: Er thronte im Himmel zur Rechten Gottes?«
    »Ja.«
    »Beim Ochsenhorn!« sagte La Surie.
»Che bella ricompensa per un assassino!«
1
    »Die guten Patres wollten es so«, sagte Jeannette.
    »Und wer spielte den Jacques Clément?«
    »Jeder von uns reihum, die Patres wollten keinen ausschließen.«
    »Und Heinrich III.? Und die Teufel?«
    »Jeder, der Strafe verdient hatte. Und es gab keine schlimmere Buße, ausgenommen«, setzte Jeannette erschaudernd hinzu, »die ›Kammer der Meditation‹.«
    »Das klingt nicht unfreundlich«, sagte ich.
    »Was aber es nicht war«, meinte Jeannette, »auch wenn die guten Patres diese Strafe selten verhängten, und niemals länger als vierundzwanzig Stunden. Aber ich, der ich einmal dort war, kann Euch versichern, daß sie in mir tiefste Schrecken hinterließ.«
    »Warum? Wurdest du geprügelt?«
    »Nein, gar nicht. In der ›Kammer der Meditation‹ wird niemand geschlagen. Nicht einmal angerührt, auch nicht mit einer Fingerspitze. Man ist dort ganz allein, aber die vier Wände sind von unten bis oben, in natürlicher Größe und unglaublich plastisch, mit entsetzlichen Teufeln bemalt, welche die Verdammten in der Hölle peinigen. Und weil man die ganze Zeit fasten muß, erscheinen einem diese Gestalten belebt durch die tanzenden Flammen der an den Mauern befestigten Lampen. Und außerdem sprechen sie.«
    »Sie sprechen?«
    »Ja! Ich habe es mit diesen meinen Ohren gehört! Sie flüstern, murmeln, grollen und lachen gellend. Und die Verdammten stoßen herzzerreißende Klagen aus, die Stimmen kommen aus allen vier Ecken des Raumes, ein einziges Ächzen und Jammern. Aber das schlimmste war …«
    »Was? Noch Schlimmeres?«
    »Ja! Das schlimmste war, daß plötzlich, in einer großen Stille, eine Stimme erscholl, die den ganzen Raum mit schaurigem Getöse erfüllte, und mich ermahnte zu bereuen, wenn ich nicht auch bis ans Ende der Zeiten die grausamsten Qualen erleiden wolle.«
    »Ein nettes Meditationsthema«, meinte La Surie, »und gute Schalltrichter in den Mauern, welche die verstellten Stimmen der guten Patres übertragen.«
    »Holla!« sagte Fogacer, die Brauen wölbend, »man muß wahrlich ein Herz von Stein und einen unfrommen Geist haben, um von offensichtlichen Mirakeln nicht berührt zu sein.«
    »Jeannette«, sagte ich, »was hattest du verbrochen, um solche Strafe zu verdienen?«
    »Ich hatte den Rektor in aller Beisein gefragt, warum man im Collège nicht für den König von Frankreich bete, da er sich doch bekehrt und seine Hauptstadt eingenommen habe.«
    »Und was antwortete der Rektor?«
    »Daß aus meinem Mund der Böse spreche. Daß die Bekehrung dieses stinkenden Bocks von Béarnaiser 1 nichts sei wie Lug und Trug und üble Täuschung. Daß der Béarnaiser, und söffe er alles Weihwasser von Notre-Dame, drum doch nichtsteiler pissen würde: Es glaube niemand an seine Aufrichtigkeit. Daß der Papst ihn nicht absolviert habe und auch nicht absolvieren werde. Daß allein der Gedanke eine Blasphemie sei, der Papst könnte ihn jemals in den Schoß der Kirche aufnehmen. Und stiege selbst ein Engel Gottes vom Himmel hernieder und sagte zum Papst: ›Nimm ihn auf‹, würden alle Rechtgesinnten diese Botschaft noch immer für höchst verdächtig halten.«
    »Waren das seine Worte?«
    »Verbatim.«
1
    »Und haben sie dich überzeugt?«
    »Nein«, sagte Jeannette. »Ich fand es merkwürdig, daß die guten Patres behaupteten, bessere Katholiken zu sein als jene Bischöfe, die Heinrich IV. bekehrt haben. Aber weil der Rektor, die Lehrer und alle Schüler gegen mich verbündet waren, entsetzte mich der Gedanke, wieder in die ›Kammer der Meditation‹ zu müssen. Also strich ich die Segel und bekannte meinen Irrtum.«
    »Was geschah dann?«
    »Ich wurde gefeiert und gehätschelt wie das verlorene Lamm aus der Bibel, aber fortan war für mich der Zauber gebrochen. Nicht, daß ich die guten Patres nicht mehr geliebt und ihnen nicht – bis heute – die größte

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