Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
ein gewaltiger Glaszylinder, auf dem oben ein abgetrennter Zwergenkopf steckte. Röhren und Schläuche hingen vom Hals in die brodelnde Brühe darunter. Die Augen über dem kurz geschorenen Bart wandten sich in Frafas Richtung und zwinkerten. Daneben war eine Haut auf ein Gestell gespannt – allem Anschein nach die Haut eines Menschen.
Bleidan stand an einem Tisch mit alchemistischen Apparaturen und ließ eine milchige Flüssigkeit in einen Tiegel tropfen. Er trug einen weißen Kittel und hatte die langen Haare mit einem Band zurückgebunden. »Frafa«, sagte er, ohne aufzublicken. »Einen Augenblick.«
Frafa ging durch den Raum und schaute sich die Käfige an. Dann und wann klopfte sie mit dem Finger gegen die Wände eines Vivariums, um den Bewohner aufzuschrecken und mehr von ihm zu sehen. Sie studierte die Exponate an der anderen Wand. In einem Glas schwappte träge eine Flüssigkeit, so grün wie Blut. Etwas Langes, Bleiches wand sich darin, das Frafa nicht genau ausmachen konnte.
»So«, sagte Bleidan. Er trat mit dem Tiegel an die Haut und trug die Lösung mit einem weichen Pinsel auf. Die Menschenhaut zuckte, und es sah aus, als schlüge sie wohlige Wellen. Frafa vernahm ein leises Flappen.
»Du hast bis eben geschlafen?«
»Ja«, erwiderte sie.
»Das ist eine ziemliche Zeitverschwendung«, sagte Bleidan. »Hat dir noch niemand beigebracht, wie man in Trance verfällt? Damit erhältst du deine Tatkraft viel schneller zurück. Außerdem kannst du dabei über allerhand Fragen meditieren und die Ruhezeit nutzen.«
Frafa schüttelte den Kopf. »Ich habe noch nicht viel gelernt«, stellte sie fest. »Meister Aldungan hat mich als Schülerin angenommen, aber er hat gar keine Zeit für mich.«
»Du bist noch nicht so lange hier«, bemerkte Bleidan.
»Fast vierzehn Jahre«, widersprach ihm Frafa. »Meine Mutter brachte mich mit sechs zu meiner Tante, und die schob mich gleich an Aldungan weiter. Der hat mir nur ein paar Bücher gezeigt, aus denen ich lernen soll. Ein paar ältere Schüler fragen mich dann und wann Pflanzen- und Tiernamen daraus ab. Aber ich habe bislang kaum einen Zauber gelernt. Obwohl ich in der Bibliothek schon nach solchen Büchern geschaut habe.«
Bleidan schüttelte den Kopf. »Du bist ungeduldig, Frafa«, sagte er. »Die älteren Schüler sind als Lehrer für dich gut genug. Es wäre gefährlich, wenn du die Magie des Lebens lernen würdest, ohne vorher den Aufbau der Organismen zu kennen, auf die du sie anwendest.«
»Ja.« Frafa zog einen Schmollmund. »Aber das Bild von einer Rose ist keine Rose.«
Bleidan sah sie an. Dann lächelte er. »Nun gut«, sagte er. »Du kannst mir stundenweise zur Hand gehen, und ich werde dir das eine oder andere zeigen. Ich gehe meinen Forschungsplan durch und überlege mir, bei welchen Experimenten du mir helfen kannst.«
Frafas Gesicht hellte sich auf. Grübchen erschienen auf ihren runden Wangen, und sie klatschte in die Hände. »Das wäre großartig, Meister Bleidan.«
Der Zwergenkopf auf dem Zylinder lallte etwas. Frafa zuckte zusammen. Die Zunge hing ihm halb aus dem Mund, und Sabber tropfte in den Bart. Neugierig trat Frafa näher heran.
»Was ist das?«
Bleidan kam zu ihr, nahm einen fleckigen Lappen von seinem Labortisch und wischte den Bart ab. »Das ist der gute alte Ankanos«, erklärte er. »Während des letzten Krieges ließ ich ihn mir von einigen umtriebigen Goblins besorgen. Ich halte ihn schon seit über zwölf Jahren am Leben. Es ist ein Langzeitexperiment.«
Frafa fuhr mit der Hand vor dem Zwergenkopf herum. Die Augen folgten der Bewegung kurz, dann irrten sie ab. »Er lebt?«, fragte sie. »Ein echter Zwerg?«
»Nun«, antwortete Bleidan. »Er ist im Laufe der Jahre schwachsinnig geworden. Er war anfangs in einem besseren Zustand. Ich glaube allerdings, es liegt nicht an meinen Präparaten, sondern in der speziellen Befindlichkeit der Zwerge begründet. Sein Geist verträgt die Behandlung weniger gut als sein Fleisch. Darum überlege ich, den Versuch mit Angehörigen anderer Rassen zu wiederholen.«
Frafa musterte den Zwerg wie gebannt. Doch je länger sie den halb lebendigen Kopf anschaute, umso unbehaglicher war ihr zumute. Sie trat einen Schritt zurück und strich sich unwillkürlich mit der Hand über das Haar.
Sie räusperte sich. »Wie verträgt sich das mit Eurer ›patriotischen Gesellschaft‹, von der Ihr mir gestern erzählt habt? Meintet Ihr nicht, die Völker müssten lernen, eine wahrhafte Gemeinschaft zu
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