Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
Farbe den Anschein von Jahren und Erfahrung nachahmen konnte. Sie hatte wirklich viel gelernt in den letzten Wochen, nicht nur in Bleidans Arbeitszimmer, sondern auch von seinen Freunden und vor allem von seinen Freundinnen .
Sie wandte sich Balgir zu und schnappte die Echse, bevor diese unter das Kissen huschen konnte. Frafa strich ihr über den Rückenkamm. Balgir zischte. Frafa konzentrierte sich stärker und kraulte das Taschentier. Sie tastete mit ihren anderen Sinnen nach jenem Knoten in der Essenz ihres Vertrauten, der die beiden Formen verband. Mit einiger Mühe fand sie ihn, drückte mit ihrer magischen Kraft dagegen und endlich, endlich wurde das Tier in ihren Armen schlaff.
Frafa atmete schwer.
Aber immerhin, sie hatte es geschafft. Das Taschentier war ein Erbstück von ihrer Tante, und bis vor Kurzem hatte diese Gabe Frafa nichts als Ungemach bereitet.
Zuerst hatte sie Meister Aldungan bitten müssen, die Echse zum Leben zu erwecken, weil sie selbst es nicht konnte. Und danach hatte sie das Tier als nutzlosen Ballast mitschleppen müssen. Sie konnte es nicht wieder zu einer Tasche werden lassen, und sie hatte auch nicht gewagt, es fortzuwerfen, weil ihr Meister möglicherweise danach gefragt hätte. Und dann hätte sie ihre Unfähigkeit eingestehen müssen.
Nun, diese Zeit war vorbei. Sie würde den Trick trotzdem nicht in Bleidans Gegenwart versuchen. Nicht, solange sie ihn nicht erheblich besser beherrschte. Balgir würde den ganzen Vormittag über eine Tasche bleiben … und vielleicht auch noch ein wenig länger!
Frafa packte die echsenförmige Tasche an ihrem langen Hals und hielt sie am ausgestreckten Arm vor sich. Sie schaute auf die blitzenden Karfunkel, die dort saßen, wo das Tier seine Augen hatte.
»Na, du boshafte kleine Schlange?«, sagte sie. »Meinst du nicht auch, dass du in dieser Form viel, viel nützlicher bist?«
Sie fasste mit der Linken nach der Klappe der Tasche, bewegte sie wie ein Maul und sprach mit verstellter Stimme: »Aber sicher doch, Herrin! Ich will Euch nur zu Diensten sein!«
Frafa lachte, dann schaufelte sie wahllos alles in die Tasche hinein, was sie für den Vormittag mitnehmen wollte: einige Tücher und ihre Schminksachen, weitere Kämme und Spangen, ein großes wollenes Tuch, falls es zu zugig wurde in der Halle. Sie warf Flakons mit Ölen und Duftwasser hinterher und sah gebannt zu, wie diese in den unergründlichen Tiefen der echsenförmigen Tasche verschwanden.
Misstrauisch steckte sie ihren Arm hinterher und tastete nach den Dingen, die sie hineingeworfen hatte. Sie lachte wieder auf. Balgir konnte eine Plage sein, aber als Tasche war er großartig!
Sie verließ ihr Zimmer, sprang übermütig die Treppen hinab in die Küche. Dort packte sie weißes Brot und Gebäck und einige Flaschen Wein ein und in Wachspapier eingeschlagene Teigtaschen, die die Koboldköchin für sie vorbereitet hatte. Sie schnallte Balgirs Schwanzspitze an die Schnauze, sodass eine Umhängetasche daraus wurde, und schritt die restlichen Stufen hinab.
Es dauerte eine Weile, bis Bleidan erschien. Er musterte sie von oben bis unten. »Hm … hübsches Schmuckstück.« Er starrte den Kamm in ihrem Haar an, als würde er erwarten, dass er jeden Augenblick loskrabbelte.
Frafa lächelte und schob die Tasche auf ihrer Schulter zurecht. »Danke.«
Ob sie ihn wohl darüber aufklären sollte, dass es sich nur um einen Bronzekamm handelte, der über keine weiteren Kräfte verfügte und den sie leider auch nicht zum Leben erwecken konnte? Nein. Sie konnte so wenig; da schadete es nicht, ein wenig geheimnisvoller zu erscheinen, als sie war.
Aldungans Turm war einer von vieren, die an den Ecken eines uralten Kastells gelegen waren. Die Nebengebäude dieser Festung waren längst durch neuere Bauten ersetzt; die Wälle, die früher von Turm zu Turm geführt hatten, hatte man unten durchbrochen, die Zinnen abgetragen. Die Reste spannten sich als Brücken zwischen den Ecktürmen, und die Straßen der Stadt führten darunter hindurch.
Der Turm hatte daher auf halber Höhe einen zweiten Zugang, der auf eine dieser Hochstraßen führte. Die Alben aus Aldungans Haushalt bevorzugten diese luftige Pforte, doch heute traten Bleidan und Frafa durch die untere Tür. Die Gasse dahinter war wie ein tiefes Tal zwischen hoch aufragenden Bauwerken. Frafa hörte Fledermäuse schwirren. Mit der Morgendämmerung tauchten sie in den Schatten und würden sich bald zurückziehen.
Bleidan sah sich um und schritt
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