Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
kraftvoll aus. Bronzene Drachenköpfe blickten auf sie herab, verzierte Pechnasen oder einfach nur der Ablauf der Regenrinnen von den Türmen. Im Augenblick waren ihre Mäuler geschlossen.
Nach einigen Schritten gelangten die beiden auf eine breitere Straße. Kleinere Gebäude schmiegten sich zwischen die herrschaftlichen Türme, und Papierlaternen schaukelten an Seilen über der Straße. Aldungan hätte solches Menschenwerk um seinen Turm niemals geduldet, denn ein Nachtalb brauchte kein Licht in der Dunkelheit.
»Du weißt aber schon«, wandte Bleidan sich leise an seine Begleiterin, »dass wir nicht zu einer kurzweiligen Gesellschaft unterwegs sind und nicht zu einem Fest?«
Frafa hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie hob mit der Linken den Saum ihres Kleides, damit es nicht über den schmutzigen Boden schleifte, und schaute zugleich auf das bunte Treiben um sie her. Überall waren Menschen und das niedere Finstervolk. Auf den Hochstraßen blieben die Alben meist unter sich.
Menschenweiber hatten Decken auf dem Pflaster ausgelegt und boten dunkles Brot feil. Frafa roch das Steinmehl darin schon aus drei Schritt Entfernung. Andere Krämer hatten billiges Tuch, Schnaps oder Töpferwaren vor sich ausgebreitet. Ein Kobold stand vor seiner winzigen Werkstatt und verkaufte Rätselspiele aus gebogenen Metallstäben. Bettler hielten respektvoll Abstand zu den Alben, blickten aber hoffnungsvoll zu ihnen herüber.
Frafa beschaute ihrerseits die krummen Gliedmaßen, die entzündeten Stümpfe, den Ausschlag, die Geschwüre und die Gebrechen, mit denen diese Gestalten um Mitleid heischten. Zum ersten Mal fühlte sie sich sicher auf den schäbigen Straßen. Mit Bleidan an ihrer Seite hatte sie niemanden zu fürchten, und so konnte sie den Bodensatz von Daugazburg in Muße betrachten.
»Frafa?«, sagte Bleidan.
»Oh ja.« Sie erinnerte sich an die Frage, die er ihr eben gestellt hatte. »Wir gehen zu einer geheimen politischen Versammlung. Von Alben, die den Fortschritt lieben. Wollen wir die Fei stürzen und einen neuen Herrscher einsetzen?«
Bleidan blieb unvermittelt stehen und fasste Frafa am Arm. »Um Leuchmadans willen«, hauchte er. »Sag so etwas nicht. Wie leicht kann es an die falschen Ohren gelangen!«
Frafa schaute sich um, aber sie waren allein. Nur Menschen waren in ihrer Nähe. Aber sie sah Bleidans erschrockenes Gesicht und nickte.
»Wir wollen am Thron der Fei nicht rütteln«, fuhr Bleidan leise fort. »Wir wollen ihr vielmehr helfen! Wenn sie uns nur anhören würde. Doch sie ist von den falschen Beratern umgeben und misstrauisch. Dabei schätzen wir die Art, wie sie ihre Herrschaft ausübt, weit mehr als Leuchmadans Regime. Es ist eine große Tragik, dass wir durch Missverständnis und Vorurteil unser Wirken vor ihr verbergen müssen, und ebendas hoffen wir zu verändern.«
Er ging langsam weiter und achtete darauf, so viel Abstand zu dem übrigen Volk auf der Straße zu halten, wie nur möglich war.
»Aber ist die Fei nicht schwach?«, fragte Frafa. »Ich meine, jeder redet darüber! Sie hat Leuchmadans Kästchen mit all seiner Macht errungen, und anstatt damit den Krieg fortzuführen, schickt sie unsere menschlichen Verbündeten heim und lässt kümmerliche Felder rings um die Stadt anlegen.«
»Die Leute sind so kurzsichtig«, flüsterte Bleidan. »Als Leuchmadan vor tausend Jahren stürzte, war es die Fei, die die Stadt rettete und alles wiederaufbaute. Sie schuf eine neue Zukunft für die Grauen Lande – bis Leuchmadan zurückkam und die Vergangenheit wieder zum Leben erwecken wollte.« Bleidan seufzte. »Das war ein großes Unheil.«
Ein gedämpfter Ruf hallte durch die Straße, von einem Händler zum nächsten weitergegeben. Die Menschen rafften ihre Decken mit den Waren zusammen und verkrochen sich in den Hauseingängen. Krämer mit festen Geschäften schlossen Läden und Türen. Kurz darauf kam eine Patrouille von Goblins den Alben entgegen. Sie grölten, kippten Bettlern die Becher um oder schlugen nach Passanten. Um Bleidan und Frafa machten sie einen Bogen.
Kaum waren sie weitergezogen, kamen die Händler wieder hervor, und das Leben auf der Straße ging weiter. Frafa kicherte.
»Kann es sein«, sagte sie, »dass die Goblins ein ganz anderes Daugazburg erleben als wir?«
Bleidan lächelte. »Einige von ihnen vielleicht. Es gibt die wilden Goblins aus Bergen und Steppe, die als Söldner hier Dienst tun und in der Stadt nicht heimisch sind. Das niedere Volk geht ihnen nach Möglichkeit
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