Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
einfach nicht näher kommen.
Sie hörte ein leises Flappen. Frafa keuchte. Ein Kreischen ließ die Luft vibrieren. Als Frafa die lebende Aura dicht über sich spürte, ließ sie sich fallen …
Und dann war da etwas anderes, größer, schwerer als die Fledermaus. Eine Präsenz wie von einem Drachen, durchwoben von Magie. Sie hörte einen dumpfen Aufprall direkt über ihrem Kopf, dann ein schweres Krachen ein Stück weit entfernt. Klatschende Laute, als würde jemand einen riesigen Lederhandschuh schütteln, Schreie, Kreischen, das trockene Knacken berstender Knochen.
Frafa blickte auf.
Balgir erhob sich vor ihr wie ein Ungeheuer. Die Echse hielt eine Fledermaus mit dem Maul am Flügel und schüttelte sie wild. Wieder und wieder schlug das kleine Tier auf den Boden, und das Blut lief ihm aus der stumpfen Nase und aus vielen offenen Brüchen. Balgir ließ den Flügel los und packte die Fledermaus am Leib. Er grub die Zähne in das feine schwarze Fell und riss die Fledermaus mit seinen Krallen in Stücke. Genüsslich verschlang er das warme Fleisch.
Frafa schaute zu, starr vor Entsetzen. Dann blickte sie kurz nach oben. Die anderen Fledermäuse klammerten sich an den Dachsparren fest und machten keine Anstalten, aufzufliegen. Drei, vier schwarze Schemen kreisten an den Zugängen zur Gasse, hielten aber Abstand.
Plötzlich fühlte Frafa sich gepackt. Balgirs dünne Zunge schloss sich um ihre Hüfte wie ein Ledergurt, und mit einem Ruck wurde sie vom Boden hochgerissen. Sie schrie kurz auf, dann verschwand sie hinter Balgirs Lippen.
Ehe sie sich’s versah, fand sie sich zwischen dem Rand des Echsenmauls und der dichten Reihe kleiner, spitzer Zähne abgesetzt. Balgirs Maul stand einen Spalt offen, sodass Frafa eben noch hinausblicken konnte. Speichel lief schleimig an Frafas Kleid hinunter, rann durch ihre Haare. Bis zum Oberschenkel stand sie in einer Mixtur von Echsenspucke und Fledermausblut.
»Balgir!«, schrie sie.
Und Balgir lief los.
Das Taschentier rannte auf seinen kurzen Beinen überraschend flink auf den Ausgang der Gasse zu. Dann machte es einen Schwenk und sauste schräg an der Wand des gegenüberliegenden Schuppens hinauf. Kreischend flogen die Fledermäuse unter dem Dach auf und suchten das Weite.
Frafa wurde hin und her geschleudert, halb eingeklemmt in der schmalen Furche zwischen Zähnen und Lippen. Sie glitt auf dem schlüpfrigen Untergrund aus, landete der Länge nach im Schleim und kämpfte sich wieder auf die Füße. Das machte Balgir doch mit Absicht! Tränen traten ihr in die Augen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so unrein und gedemütigt gefühlt.
Sie klammerte sich fest, und als sie einen Blick durch den Mundspalt werfen konnte, waren sie hoch über dem Boden. Frafa hörte von draußen das feine Knistern, mit dem Balgirs Krallen im Holz Halt fanden. Dann ein Krachen: Ein langer Schatten ließ die Schuppenwand vor ihnen bersten.
Ein Armbrustbolzen!
Frafa reckte sich. Die Vampire am Ende der Gasse waren beängstigend nah. Sie zeigten zu Balgir empor und schossen mit Armbrüsten, aber die Bolzen verfehlten die Echse. Das Taschentier tauchte durch ein Fenster, und sie gelangten in ein weiteres Lagerhaus.
Balgir huschte zwischen Packen hindurch, die bis unter die Decke gestapelt waren, und auf der anderen Seite des Gebäudes hinaus. Frafa fühlte seinen zischenden Atem an sich vorbeistreichen. Sie hörte Rufe, die hinter ihnen zurückblieben.
»Es reicht, Balgir«, rief sie. »Lass mich raus! Lass mich raus!«
Aber Balgir lief weiter. Frafa zitterte.
Weiter ging der Lauf, zwischen den Lagerhallen hindurch und auf eine Straße mit armseligen mehrgeschossigen Wohnhäusern aus gebranntem Stein. Am Mauerwerk hinauf, entlang der Firste, und bald hatten sie das kurze Stück bis zum Hauptwall zurückgelegt. Balgir kletterte die Stadtmauer hinauf, über die Zinnen, und in der Oberstadt folgte er den Dächern und Brücken und Hochstraßen bis zu Aldungans Turm.
Getragen von Balgir, legte Frafa den ganzen Weg schneller zurück als am Morgen in großer Gestalt mit Bleidan.
Auch hier hielt Balgir sich nicht lange mit Türen auf. Er kletterte geradewegs die Wand empor, stieß das Fenster zu Frafas Kammer auf und sprang hinein. Dann huschte er auf die Kommode und bis zur Waschschüssel und spuckte Frafa dorthinein.
Frafa war halb benommen. Erst als kaltes Wasser über ihr zusammenschlug, klärten sich jäh ihre Sinne. Sie zappelte mit den Beinen, ruderte mit den Armen. Kurz spürte sie
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