Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
Geliuna. »Ich kenne diesen Namen. Er bedeutet dir etwas.«
Frafa zuckte zusammen. Es war nachlässig gewesen, diesen Namen hier auszusprechen. Und doch …
Sie fühlte, wie ihr Gesicht grün wurde und warm. »Bleidan ist kein Verräter«, brachte sie hervor, auch wenn die Furcht ihr fast die Kehle abschnürte. »Wollt Ihr ihn nicht wieder gehen lassen?«
»Ach, kein Verräter?« Geliunas Stimme klang spöttisch. »Hat er nicht an diesem Treffen teilgenommen, obwohl ich jegliche politische Vereinigung verboten habe? Hat er nicht sogar Zauber gewirkt gegen meine Beauftragten?«
»Aber die Vereinigung, mit der er sich traf, hat sich nicht gegen Euch verschworen!« Frafa wusste selbst nicht, woher sie den Mut nahm. Dabei war dies gar nicht die Botschaft, die sie überbringen sollte. Sie würde Meister Aldungan und die Schwarze Fei gegen sich aufbringen! Doch die Worte brannten in ihrem Herzen und mussten hinaus.
Geliuna wirkte nicht aufgebracht. Sie kehrte zu ihrem Thron aus Kristall zurück und ließ sich darauf nieder. Sie sprach im Plauderton weiter, als säße sie in lockerer Runde bei einer Tasse Xotocl und würde ein Thema erörtern, das ihr im Grunde nichts bedeutete. »Die Freunde des Fortschritts , so nennen sie sich doch? Sie wollen eine Veränderung. Aber im Augenblick regiere ich in Daugazburg. Nennst du es nicht Verrat, wenn sie daran etwas ändern wollen?«
»Aber das ist es doch nicht, was sie verändern wollen.« Es kostete Frafa Mühe, die richtigen Worte zu finden. Sie schwamm ein wenig in ihren eigenen Gedanken. Im Grunde verstand sie ja selbst nicht, was Bleidan und seine Freunde eigentlich wollten. Was für eine Ironie! Genau darüber hatten die Fortschrittsfreunde an jenem Abend gesprochen: über eine Gelegenheit, der Fei ihre Gedanken vortragen zu dürfen. Und ausgerechnet sie, Frafa, kniete nun hier, und die Fei hörte ihr zu …
Sie würde für Bleidans Vereinigung sprechen, so gut sie es vermochte. Sie würde es für Bleidan tun.
»Sie wollten … Fortschritt«, fuhr Frafa fort. »Bleidan beispielsweise dachte an Experimente zum Wohle aller … andere wollten Reichtümer … Und sie wollten mit Euch reden.«
Frafa suchte in ihrem Gedächtnis zusammen, woran sie sich erinnerte. Doch sobald sie es aussprach, kam es ihr dumm vor. Und das Schlimme war: Ihr kamen sogar Zweifel, ob es wirklich nur an ihr lag. Waren Bleidan und seine Ansichten womöglich gar nicht so klug, wie sie immer gedacht hatte?
Ach, er hätte es gewiss viel besser vortragen können!
Geliuna lehnte sich ein wenig zur Seite. Sie stützte einen Ellbogen auf die Armlehne und legte den Kopf auf die zierlich angewinkelte Hand. Sie seufzte.
»Wie schade, dass deine Tante nicht mehr hier ist. Mit ihr konnte ich über solche Angelegenheiten verständig reden. Sie blickte hinter die Dinge. Also lerne, Kind, damit du dich auch eines Tages zurechtfinden wirst in Daugazburg. Es ist völlig gleichgültig, was dein Bleidan und seine Freunde gesagt und gedacht haben. In Wahrheit hatte ihre Vereinigung nur das eine Ziel: eine Veränderung, die ihnen mehr Macht und Einfluss brächte, als sie derzeit haben. So ist es nämlich immer in diesen Dingen.«
Frafa schaute Geliuna einen Augenblick an. Dann schüttelte sie den Kopf. »Aber nein«, sagte sie. »Das kann nicht sein! Bleidan ist wie Meister Aldungan. Er denkt nur an seine magische Forschung! Das ist sein einziger Ehrgeiz.«
»Ach. Und deshalb tritt er ganz zufällig und selbstlos dafür ein, dass die Forschung in Daugazburg einen besseren Platz erhält?« Geliuna lächelte.
Frafa erinnerte sich an Worte, die man so deuten konnte. Aber da fuhr die Fei schon fort:
»Weißt du, Frafa, lange war es friedlich in Daugazburg. Der Krieg forderte kaum Opfer unter den Nachtalben. Meine liebevolle Herrschaft sorgte außerdem dafür, dass ihre Sitten und Gebräuche sanfter wurden. So sind in diesen Jahren viele neue Generationen von Nachtalben herangewachsen. Schüler, die selbst fast schon Meister sind. Doch die alten Meister sind immer noch da. Sie besetzen alle wichtigen Posten. Wohin auch immer ein junger Nachtalb kommt – ein älterer war schon vor ihm da und geht nicht fort. Denn so wenig wie die Feien kennen die Nachtalben einen natürlichen Tod.
Wen wundert es da, dass die jungen Nachtalben unzufrieden werden mit einer Ordnung, in der sie gefangen sind? Dass sie eine neue Ordnung suchen, mit neuen Posten und neuen Hierarchien? Wenn man in der alten Ordnung nicht aufsteigen
Weitere Kostenlose Bücher