Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
und ließ ihn in den großen Holzeimer plumpsen. Dann kippte sie die Flüssigkeit aus dem Glaszylinder durch das Turmfenster hinab in die Gasse. Sie trug den Kopf fort, kam mit frischem Wasser zurück und reinigte alle Teile der alchemistischen Apparatur, die den Zwerg am Leben gehalten hatte.
Als alles weggeräumt war, atmete Frafa auf. Sie wusste nicht, was Bleidan dazu sagen würde. Aber sie fühlte sich jetzt viel wohler in dem Arbeitsraum.
Die Tiere in den Käfigen hinter ihr riefen und keckerten und schlugen gegen Glaswände und Käfigstangen. Balgir drückte mit der Nase die angelehnte Türe auf und lugte herein. Frafa wandte sich ihrer täglichen Arbeit zu.
Danach wagte sie sich häufiger aus dem Turm. Sie ging auf die Straße, suchte die Märkte auf und sprach mit Aldungans Dienstleuten. Sie mied allerdings die Orte, an denen Bleidan regelmäßig verkehrt hatte, auch wenn sie dort womöglich am ehesten Antwort auf ihre Fragen gefunden hätte.
Die Hinrichtungen auf dem Drauzwinkel wurden häufiger. Meist waren es einfache blutige Spektakel ohne magischen Hintergrund. Als Frafa einmal einem solchen Schauspiel beiwohnte, glaubte sie, einen Nachtmahr aus Bleidans Vereinigung zu erkennen, der auf dem Schafott von Goblins mit Steinhämmern zu Tode geprügelt wurde. Aber es waren keine Alben unter den Verurteilten, und über Bleidans Schicksal erfuhr sie nichts.
»Balgir!«
Frafa balancierte in der einen Hand das Glas mit den Würmern und den Deckel des Vivariums, während sie mit dem anderen Arm ihr Taschentier wegschob, das mit seiner langen Zunge nach den Silberameisen fischte, die sie gerade fütterte. Unvermittelt ließ Balgir sich fallen und verschwand unter dem Regal. Als Frafa ihm nachblickte, sah sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung bei der Tür.
»Bleidan!«, rief sie und fuhr herum. Ihr Herz pochte.
Aber es war Meister Aldungan, der mit einem Papier in der Hand eintrat.
Der alte Nachtalb sah sich um. Er trug ein blauschwarzes Gewand mit hohem Kragen. In seinem glatten runden Gesicht zeichneten sich einige sorgenvolle Falten ab. Ansonsten verriet allein eine unergründliche Tiefe in seinem Blick sein wahres Alter.
»Frafa«, sagte er. »Ich spürte deine Präsenz hier unten.«
Frafas Haut prickelte. Unbehagen kroch in ihren Leib. »Ich grüße Euch, Meister Aldungan.« Sie knickste. »Ich kümmere mich um Herrn Bleidans Tiere, solange er … fort ist.«
Aldungan ließ den Blick durch den Arbeitsraum schweifen. Frafa spürte, wie seine Aura über die Käfige tastete. »Es ist gut, dass dafür gesorgt wird«, sagte er.
»Meister«, fing Frafa zögernd an. »Wisst Ihr, wann Bleidan zurückkehrt?« Ihre Stimme stockte. »Er kehrt doch zurück?«, fügte sie atemlos hinzu.
»Das weiß Geliuna allein«, sagte Aldungan. »Aber Bleidans Unvernunft bringt mich in eine prekäre Lage.«
Er hob das Papier, das er in der Hand hielt. Frafa drückte sich mit dem Rücken an die Käfige. Es war ungewohnt und auch beunruhigend, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Meisters zu stehen.
»Unser aller Herrin Geliuna invitiert mich hierin, an einer Zusammenkunft der Großen von Daugazburg teilzuhaben«, erklärte Aldungan.
Frafa nickte und wusste nicht, warum er ihr das erzählte.
»Die drei letzten Feien werden dort sein, einige mächtige Fatu und die größten albischen Magier. Geliuna will eine gemeinsame Linie unter den Mächtigen aushandeln, damit die Unruhe in der Stadt nicht am Ende alle in Mitleidenschaft zieht. Aber ich will mich nicht gerade jetzt in das Treiben bei Hofe hineinziehen lassen, wo die Zeiten so unruhig sind. Ich habe hier ernsthafte Forschungen zu leisten! Soll die Fei also ihre Entscheidungen nach Gutdünken treffen und mir ihre Befehle schicken, wenn sie meiner Fertigkeiten bedarf.«
Aldungan hielt kurz inne und fasste Frafa scharf ins Auge. »So habe ich es stets gehalten. Jetzt aber hat sie Bleidan festgenommen, und das stellt auch mich unter Verdacht. Ich muss sie meiner Ergebenheit versichern. Wie könnte ich also ihre Einladung zurückweisen, ohne dass zumindest Bleidan ihren Zorn zu spüren bekommt?«
Frafa zuckte zusammen. »Ihr könntet Euch für Bleidan einsetzen!«, brach es aus ihr heraus. Das war es, woran sie die ganze Zeit gedacht hatte, noch bevor Aldungan seine eigenen Bedenken formuliert hatte. Wenn die Fei etwas von Aldungan wollte und er es nicht ablehnen konnte, so musste er es eben zu seinem Vorteil nutzen.
»Ah, Frafa«, sagte Aldungan. »So geht das nicht.
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