Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
während der Gedanke in seinem Kopf allmählich Gestalt annahm.
»Wäre möglich, wäre möglich«, murmelte der Kobold, tief über die Pergamente gebeugt. »Aber Gold wäre gut, wäre gut. Gute Forschung braucht Gold, dann werd ich sehen, was ich mir einfallen lasse. Ich meine, für die Blitze ist Kupfer besser, aber für alle Arbeiten daran braucht es Gold, wenn Ihr versteht.«
Frafa verkroch sich in Bleidans Arbeitszimmer und versorgte die Tiere. Anschließend blieb sie dort und kümmerte sich um ihre eigenen Studien – Anfängerübungen. Aber seit der Meisterschüler fort war, verbrachte sie mehr und mehr Zeit in seinem Raum, und niemand erhob Einwände dagegen.
So hatte Frafa sich einen Arbeitsplatz hoch oben im Turm geschaffen. Nur Aldungans persönliche Gemächer befanden sich noch über ihr. Wenn sie aus dem Fenster schaute und den Blick über die Stadt genoss, konnte sie sich zweihundert Jahre in die Zukunft träumen … oder noch weiter. In die Zeit, da sie selbst eine mächtige Zauberin wäre und einen eigenen Turm besäße, von dem aus ihr Daugazburg zu Füßen lag.
Sie würde geflügelte Boten zu Bleidan schicken, der in einem eigenen Turm hauste, ganz so, wie Saira und Tartanis es in der Legende getan hatten. Und Bleidan würde Kreaturen aus seinem Labor in ihr Haus schicken, albtraumhafte Geschöpfe mit Klauen und Zähnen und gifttriefendem Stachel. Die sie natürlich mühelos abwehrte, so wie er ihre Gesandten.
Und dann, wenn sie sich als würdig erwiesen hatten, würden sie einander gegenübertreten und Liebende werden. Es wäre eine Liebe auf dem rasierklingenscharfen Grat tödlicher Magie, wie nur Nachtalben sie leben konnten – die keinen Partner hinnahmen, der nicht stark und rücksichtslos war wie sie selbst. Denn warum sollte man Zeit mit Zweisamkeit verschwenden, wenn der eine dem anderen doch nur zum Ballast würde und schwächliche Kinder dabei herauskämen?
Frafa saß auf einem Stuhl, blickte mit großen Augen durch das trübe Fenster in die Dunkelheit hinaus und imaginierte die Chimären, die sie dereinst entwerfen und zu Bleidan schicken würde. Ein leises Keckern der Affen in den Käfigen riss sie aus den Träumen.
Es wurde Zeit, dass sie auch in der Wirklichkeit ihre Kräfte schulte. Denn leider war sie noch weit davon entfernt, den Platz hier oben unter der Turmspitze zu verdienen …
Sie konzentrierte sich. Die magische Essenz auszustrecken war eine der wichtigsten Übungen. Je weiter sie mit ihrem Geist greifen konnte, umso weiter würde ihre Zauberkraft reichen. Reichweite und Präzision waren die beiden Grundfertigkeiten, die auf Dauer die Grenzen ihrer Möglichkeiten bestimmten. Also versäumte sie es nicht, jede Nacht mehrere Stunden lang diese Dehn- und Kraftübungen des Geistes zu praktizieren, bevor sie ihr Bücherwissen schulte oder die Anwendungen eines Zaubers erprobte.
Frafa schloss die Augen. Sie konnte die Essenz spüren und die Aura aller Geschöpfe in den Käfigen hinter ihr. Aber das Keckern der Affen störte sie immer wieder.
Unwillig richtete sie sich auf.
Die Tiere waren wirklich außergewöhnlich unruhig. Jetzt übertrugen sie ihre Unruhe auch noch auf die Vögel. Die kleinen Nager folgten, dann schwirrten die Insekten, und im Nu herrschte ein Lärm in dem Raum, ein Kreischen und Krächzen, ein Schrillen und Summen und Scharren und Kratzen, dass Frafa sich die Ohren zuhielt.
»Ruhe!«, rief sie und stampfte mit dem Fuß auf. Balgir, der immer wieder von hinten gegen ihre Beine gestupst hatte, sprang zurück. Was war hier nur los?
Frafa versuchte, auf magischem Wege für Ruhe zu sorgen. Sie ließ ihre Kraft ausgreifen, um die Aura der Geschöpfe zu verändern … Doch es waren einfach zu viele. Ihr wurde schwindlig.
Da ging die Tür auf, und Glaura streckte den Kopf herein.
»Du bist das, Frafa«, sagte sie. »Ich hatte etwas gespürt … Ich dachte, Bleidan wäre zurück. Oder der Meister wäre hier.«
»Ich kann nichts dafür«, rief Frafa. »Sie fingen plötzlich mit dem Lärm an. Dabei habe ich sie alle schon versorgt!«
»Hast du es nicht bemerkt?« Glaura wandte sich um und schaute in den Gang hinaus. »Die Goblins sind da. Sie stürmen den Turm!« Glaura schüttelte den Kopf. »Wie kann eine Albe weniger mitbekommen als ein Haufen Vögel?«
»Oh.« Frafa hatte ein beklommenes Gefühl in der Magengrube.
Jetzt hörte sie den Lärm von der Straße, Goblinrufe. Aber in Daugazburg war immer irgendwo Lärm, und sie hatte sich abgewöhnt,
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