Der Tag der Rache. Private Berlin
Stiefvater nicht«, stellte Katharina fest. »W arum?«
Rudi Krüger nahm einen Pinsel von der Palette und betrachtete eins seiner Meisterwerke, bevor er antwortete. »W eil Hermann ein unternehmerisches Kapitalistenschwein ist, mit Betonung auf Schwein.«
»B eispiel?«, drängte Katharina.
Er warf den Pinsel auf die Palette zurück. »W ie wär’s damit, wie er meine Mutter behandelt? Vor zwanzig Jahren ließ er sie einen Ehevertrag unterschreiben, mit dem die Höhe ihrer Abfindung bei einer Scheidung begrenzt wird. Damit hat er sie an sich gebunden. Sie wird nie auf das Geld verzichten, egal, was er tut. Außerdem glaubt sie tatsächlich, dass er sie tief in seinem Innern liebt.« Schnaubend schüttelte er den Kopf.
»W ie viel bekommt sie im Falle einer Scheidung?«, fragte Mattie.
»Z ehn Millionen Euro.«
»N icht schlecht«, bemerkte Katharina.
»W enn Ihr Ehemann dreieinhalb Milliarden wert ist und er dieses Vermögen in der Zeit angehäuft hat, in der Sie mit ihm verheiratet sind?«
»I ch verstehe, worauf Sie hinauswollen«, sagte Mattie. »A ber was kann sie tun?«
»W as sie tun kann?« Rudi Krüger lachte sarkastisch. »S ie kann Rückgrat zeigen. Und Charakter beweisen. Und ihn verlassen.«
»D as ist Ihr Rat?«
»E ntweder das, oder sie lernt, mit drei Geliebten und einem Haus voller Huren zu leben.«
»W as wissen Sie über Olle Larsson?«, fragte Katharina.
Rudi Krüger zog seinen Kopf zurück wie eine Schildkröte. »W en?«
»E in schwedischer Geldgeber«, erklärte Katharina. »E r hat vor einer Stunde ein feindliches Übernahmeangebot für das Unternehmen Ihres Stiefvaters abgegeben.«
Rudi stieß leicht gehetzt den Atem aus. »N ie von ihm gehört.«
»R ude?«, rief eine Frau. Sie war klein, wog sicher nicht mehr als fünfzig Kilo und hatte ein hübsches Gesicht, doch einen Haarschnitt, der sie wie eine Verwahrloste aussehen ließ. Um den Hals trug sie ein Palästinensertuch.
»D as ist Tanja«, stellte Rudi sie vor. »M eine… äh, Studentin.«
»G enau«, sagte Katharina.
»W ir müssen zur Versammlung«, erinnerte Tanja ihn.
Rudi streifte seinen Overall ab, unter dem er Jeans und einen dunklen Pullover trug. »W enn Sie hier sind, um mich zu fragen, ob mein Stiefvater etwas mit Schneiders Tod zu tun hat, muss ich Ihnen ehrlich sagen, ich weiß es nicht«, sagte er zu Mattie und Katharina. »A ber wenn Sie mich fragen, ob ich glaube, dass er dazu fähig wäre, lautet meine Antwort: Ich halte ihn für zu allem fähig.«
41
Um Punkt neun Uhr stelle ich meinen Audi A5 ein gutes Stück vom Bundesarchiv in Westberlin ab. Egal ob es daran liegt, dass ich Deutscher bin, oder daran, wie ich als Kind aufwuchs, aber ich stehe auf Pünktlichkeit.
Ich betrachte mich im Rückspiegel. Die Schminke, das graue Haar und meine Kleider lassen mich älter aussehen. Ich setze einen Bayernhut auf, der mir zu groß ist, so dass die Krempe gleich oberhalb meiner Augenbrauen endet. Mit einer Aktenmappe unterm Arm und einem Stock in der Hand steige ich aus.
Während ich auf die Pforte zugehe, schüttle ich mich hin und wieder, als litte ich nach einem Schlaganfall unter leichten Lähmungen. An der Pforte zeige ich meinen fachmännisch gefälschten Ausweis der Universität Heidelberg vor. Heute bin ich der emeritierte Geschichtsprofessor Karl Gröning, der, zerstreut, wie er ist, seinen Personalausweis vergessen hat, als er mit dem Zug nach Berlin fuhr, um Forschungen zur Agrarpolitik des neunzehnten Jahrhunderts anzustellen. Der Pförtner reicht mir einen blauen Besucherausweis und lässt mich passieren.
Das Gelände des Bundesarchivs mit seinen riesigen Walnussbäumen und lang gezogenen, leeren Wiesen sieht aus wie ein verfallener Uni-Campus. Das Gebäude, das ich suche, befindet sich am anderen Ende.
Beim Betreten des Lesesaals ziehe ich mir, wie es die meisten Forscher hier tun, Baumwollhandschuhe über und trete an den Schalter des Archivars, wo ich alle Unterlagen anfordere, die mit ostdeutschen Waisenhäusern in und um Berlin zu tun haben.
»E s könnte etwa eine Stunde dauern, bis wir alle Unterlagen zusammenhaben«, sagt die Mitarbeiterin.
»I st schon in Ordnung«, erwidere ich. »I ch fahre erst mit dem letzten Zug nach Heidelberg zurück.«
42
Jack Morgan saß mit einer Tasse Kaffee am Pausentisch und wirkte sehr verkatert, als Katharina und Mattie das Büro von Private Berlin betraten.
»H ast du etwa hier geschlafen, Jack?«, fragte Mattie, die sich eine Tasse Kaffee
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