Der Tag der Traeume
»Da hast du wohl eine dieser Feministinnen erwischt, mein Junge«, stellte er fest. »Lass nicht zu, dass sie ihren Namen behält, sonst fordert sie nur immer mehr Rechte. Am Ende wird sie noch über das Fernsehprogramm bestimmen wollen, und dann bleibt einem Mann nichts mehr, noch nicht mal sein Stolz.«
Rick holte tief Atem und unterdrückte, wie Kendall bemerkte, ein Lachen. Aber er korrigierte den Mann nicht.
»Willst du die Sache nicht langsam mal richtig stellen?«, flüsterte sie ihm schließlich wütend zu.
»Hätte eh keinen Sinn, und außerdem schadet es ja nichts, wenn wir den Leuten ein paar Rätsel aufgeben.«
»Über eine Beziehung, nicht über eine Ehe!«
»Du wirst bald selbst herausfinden, wie der Hase in dieser Stadt läuft, aber schön, ich tue dir den Gefallen.« Rick tätschelte ihre Hand. »Wir sind nicht verheiratet, Herb. Und ich wäre dir dankbar, wenn du dieses Missverständnis aus der Welt schaffen würdest, wenn du jemanden darüber reden hörst. Nicht, dass das etwas nutzen würde«, fügte er nur für Kendalls Ohren bestimmt hinzu.
Herb fuhr mit der Hand über seine beginnende Glatze. »Aber Pearl hat mir erzählt, sie hätte mit eigenen Augen gesehen, wie du diese hübsche junge Dame in einem Brautkleid über die Schwelle ihres Hauses getragen hast.«
»Ja, das stimmt schon, aber …«
»Das ist eine lange Geschichte, Mr ….« Ihr fiel ein, dass sie seinen Nachnamen nicht kannte. »Herb.«
»Und wir würden dir gern alles erklären, aber meine Mutter erwartet uns zum Essen, und wir sind eh schon spät dran.« Rick drückte Kendalls Hand fester.
Kendall verfolgte das kurze Gespräch interessiert und begriff plötzlich, dass Rick bereits begonnen hatte, seine Rolle zu spielen – er ließ durchblicken, dass er sie seiner Mutter vorstellen wollte, hielt in aller Öffentlichkeit ihre Hand. Seine Berührung ließ das Blut schneller durch ihre Adern fließen, und sie schluckte hart.
Herb lachte. »Raina wird sich freuen, eine Schwiegertochter zu bekommen, die auch in Yorkshire Falls lebt.«
Kendall schrak zusammen. »Ich habe nicht vor …«
Rick stieß sie unauffällig mit dem Ellbogen an. Sie mochte ja nicht seine Braut sein, aber von nun an war sie eindeutig seine feste Freundin – in den Augen der Stadt jedenfalls-, und sie würde gut daran tun, das nicht dauernd zu vergessen.
Möge die Farce beginnen, dachte sie, als sie Herb ihre Kreditkarte reichte. Er registrierte ihren darin eingestanzten Namen, blickte zwischen Rick und ihr hin und her und brummte dann etwas über Frauen und ihren verdammten Unabhängigkeitsdrang. Dann machte er sich daran, ihre Einkäufe in Tüten zu verstauen.
»Hast du mitgekriegt, wie Lisa Burton hier rausgestürmt ist, als war der Leibhaftige hinter ihr her, Rick?«, fragte er, als er damit fertig war.
»Ist das die Frau, die vorhin so laut geschrien hat?«, warf Kendall ein.
»Yep. Hat ihren Korb fallen lassen, und weg war sie. Und ich durfte die zerbrochenen Eier und die ganze Schweinerei aufwischen.«
»Frauen rasten aus den merkwürdigsten Gründen aus, Herb.« Rick nahm Kendall wie ein vollendeter Gentleman am Ellbogen. »War schön, dich zu sehen.« Er reichte dem alten Mann die Hand.
»Ganz meinerseits.«
»Nett, Sie kennen gelernt zu haben, Herb«, sagte Kendall, während sie nach ein paar Tüten griff.
»Schätze, wir sehen uns bald wieder. ’s braucht viele Kleinigkeiten, um ein altes Haus in ein kuscheliges Liebesnest zu verwandeln, und ich denke …«
»Allerdings. Und deshalb müssen wir schleunigst los«, schnitt Rick Herb das Wort ab und schob Kendall zur Tür hinaus, ehe sich ein neuer Wortschwall über sie ergießen konnte.
Kendall seufzte erleichtert. Sie würden mit Sicherheit noch eine Reihe von Fragen seitens Ricks Mutter, der Hobbyehevermittlerin, über sich ergehen lassen müssen.
Rick sah aus wie vom Blitz getroffen, stellte Raina zutiefst befriedigt fest. Diesen weltentrückten Blick hatte sie zuletzt in den Augen ihres jüngsten Sohnes gesehen, als er auf dem St. Patrick’s Day-Tanz seine Charlotte kennen gelernt hatte. Das musste an den Mengen nackter Haut liegen, die die jungen Frauen heutzutage unbekümmert zur Schau stellten. Oder an ihrem bizarren Schmuck. Raina war nicht entgangen, dass Rick den Blick nicht von Kendalls entblößtem Bauch und dem Bauchnabelpiercing abwenden konnte.
Während sie die beiden jungen Leute an ihrem Tisch betrachtete, überkam sie ein Gefühl beseligenden Friedens.
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