Der Tag der Traeume
neue Heimat war und dass sie ihrer Schwester einen großen Gefallen erweisen würde, wenn sie sie hier zur Schule schickte. Träum weiter.
Er selbst tat jedenfalls gut daran, den Schutzwall zu verstärken, den er um sich herum errichtet hatte, wenn er nicht am Ende wieder um eine schmerzhafte Erfahrung reicher sein wollte.
Kendall hatte immer gedacht, das Mundwerk eines Teenagers würde nicht still stehen, doch während der ganzen Fahrt herrschte im Wagen bedrückendes Schweigen. Schon als Hannah aus dem Bus ausgestiegen und Kendalls Versuch, sie zu umarmen, unwillig ausgewichen war, hatte diese Schwierigkeiten gewittert. Als Hannahs Blick dann auch noch an Ricks Uniform hängen blieb, erkannte sie, dass es ein großer Fehler gewesen war, ihn zu diesem ersten Wiedersehen mitzunehmen.
»Was will denn der Cop hier?«, fragte Hanna auch prompt mit unüberhörbarer Abneigung in der Stimme.
»Er ist kein Cop, sondern mein …« Kendall wusste nicht weiter. Natürlich war Rick ein Cop, aber er war nicht hier, weil Hannah etwas ausgefressen hatte. Und Kendall hatte keine Ahnung, wie sie ihre Beziehung zu ihm definieren sollte, schon gar nicht gegenüber ihrer vierzehnjährigen Schwester, also entschied sie sich für eine relativ unverfängliche Bezeichnung. »Mein Freund.«
»Das ist ja voll krass!«
»Wo wir gerade von krass sprechen … was hast du denn mit deinem Haar angestellt?«
Hannah zupfte an einer wild vom Kopf abstehenden lilafarbenen Strähne. »Cool, was?«
Kendall schluckte die Bemerkung herunter, die ihr auf der Zunge lag. Sie wollte nicht riskieren, dass ihre Schwester noch mehr auf Distanz zu ihr ging. Also fuhren sie schweigend nach Yorkshire Falls zurück. Nur das unaufhörliche Schmatzen der Kaugummi kauenden Hannah zerriss die Stille im Wagen.
Endlich bequemte sie sich dazu, den Mund aufzumachen. »Ist hier in dem Kaff überhaupt irgendwas los?«
Kendall sah erst Hannah, dann Rick an. »Rick? Du weißt darüber besser Bescheid als ich.«
Rick drehte sich kurz zu Hannah um. »Die Kids treffen sich hier gerne bei Norman’s, dann gibt es noch ein altes Kino und das städtische Hallenbad.«
Hannah verdrehte die Augen. »Das hat man davon, wenn man einen Cop fragt, was hier abgeht. Da kann ich mich ja gleich lebendig begraben lassen.«
»Ein einfaches ›Danke‹ wäre netter gewesen als dein Gemecker«, warf Kendall ein. »Und ich hatte eigentlich gedacht, ich könnte dir beibringen, wie man Perlenschmuck herstellt. Oder wir könnten zusammen zeichnen, wenn dir das lieber ist.«
Hannah warf ihr nur einen misstrauischen Blick zu, als könne sie nicht glauben, dass sich Kendall wirklich mit ihr abgeben wollte.
Doch diese ließ nicht locker. »Ich habe einige deiner Arbeiten gesehen, daher weiß ich, dass du Talent hast.«
»Wenn du meinst.«
Hannahs Stimme klang gleichgültig, doch ihr Blick hing an Kendall, die zu hoffen begann, ihre Schwester brauche nur viel Zeit und Geduld, dann würde sich alles schon von selber regeln.
»Wenn du erst mal ein paar Freunde gefunden hast, wirst du dich hier bestimmt wohl fühlen«, versicherte Rick Hannah. »Ich mache dich gern mit ein paar Kids in deinem Alter bekannt.«
Kendall zwinkerte ihm dankbar zu.
»Von mir aus, solange das nicht lauter Dorfdeppen sind.« Hannah lehnte sich in ihrem Sitz zurück und verschränkte die Arme über ihrem mehr als knappen Top. Nachdem sich Kendall schon kritisch über das Haar ihrer Schwester geäußert hatte, verkniff sie sich eine Bemerkung über deren Kleidung. Hannah legte es ganz offensichtlich darauf an, wie ein Double von Britney Spears oder Christina Aguilera auszusehen.
Rick hielt vor dem Haus. »So, wir sind da.«
Hannah richtete sich auf und hielt sich an Kendalls Kopfstütze fest, um besser sehen zu können. »Hier hat Tante Crystal gewohnt?«
»Bis sie in ein Pflegeheim musste.«
»Das ist ja ein riesiger Schuppen!«
Ihre Schwester machte große Augen, und jetzt hatte sie keine Ähnlichkeit mehr mit dem verbitterten Teenager, den Kendall vom Bus abgeholt hatte, sondern glich wieder dem jungen Mädchen, an das sie sich von früher erinnerte. »Wir wohnen hinten im Gästehaus.« Hoffentlich setzte das Hannahs Begeisterung keinen Dämpfer auf.
»Ein Gästehaus? Cool!« Hannah stieß die hintere Tür auf, drehte sich aber noch ein Mal um, ehe sie aus dem Wagen kletterte. »Wer wohnt denn im Haupthaus?«
Ehe Kendall ihr eine Antwort geben konnte kamen Pearl und Eldin die Auffahrt heruntergestapft,
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