Der Tag der Traeume
jetzt verraten Sie mir, was Sie wirklich hier wollen. Dann können wir weitermachen.«
Womit weitermachen? »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.« Trotzdem stieg ihr Adrenalinspiegel schlagartig an.
»Stellen Sie sich nicht dümmer, als Sie sind, Süße. Ich habe Sie gerettet. Was glauben Sie denn, was als Nächstes passiert?«
»Woher soll ich das wissen? Eine heiße Nummer auf der Rückbank Ihres Streifenwagens vielleicht?«
Als sich seine Augen verdunkelten, erkannte sie die erotische Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübte, und wäre am liebsten im Boden versunken, weil ihr eine so sarkastische Bemerkung entschlüpft war. Aber wenn sie ganz ehrlich war, musste sie zugeben, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte. Kendall spielte tatsächlich mit dem Gedanken, ihn in den Wald zu zerren und über ihn herzufallen. Sie konnte es selbst kaum glauben, aber der Polizist erregte sie stärker als je ein Mann zuvor, Brian mit eingeschlossen.
»Endlich kommen wir weiter. Sie geben also zu, dass Sie mir eine Falle gestellt haben?«
»Ich gebe überhaupt nichts zu! Was soll dieser Unsinn?« Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Sagen Sie mir eins, Officer – werden alle Neuankömmlinge in Yorkshire Falls so freundlich begrüßt? Mit Unverschämtheiten, Sarkasmus und versteckten Anschuldigungen?« Ohne ihm Gelegenheit zu geben, etwas zu erwidern, giftete sie weiter: »Falls dem so ist, wundert es mich nicht, dass die Einwohnerzahl so gering ist!«
»Wir nehmen eben nicht jeden mit offenen Armen auf.«
»Wie schön für uns beide, dass ich nicht vorhabe, länger als unbedingt nötig hier zu bleiben.«
»Habe ich gesagt, ich hätte etwas dagegen, wenn dass Sie sich hier häuslich niederlassen?« Gegen seinen Willen spielte ein Lächeln um seine Lippen.
Seine Stimme ging ihr durch Mark und Bein. Sie klang nach Schlafzimmer. Nach Bett. Sex. Kendall begann zu zittern. Dann leckte sie sich über ihre trockenen Lippen. Sie musste sehen, dass sie hier wegkam. »Ich bitte Sie äußerst ungern darum, aber könnten Sie mich wohl zur 105 Edgemont Street bringen?« Ihr blieb nichts anderes übrig, als auf seine Dienstmarke, seine Integrität und ihren Instinkt zu bauen, der ihr sagte, dass sie diesem Mann trotz seines unmöglichen Verhaltens bedenkenlos trauen konnte.
»105 Edgemont.« Er wirkte sichtlich überrascht.
»Genau das habe ich gesagt. Wenn Sie mich da absetzen, sind Sie mich los.«
»Das meinst du«, brummte er.
»Wie bitte?«
Er schüttelte den Kopf und murmelte etwas, was sie nicht verstand. »Sie sind Crystal Suttons Nichte.«
»Ja, ich bin Kendall Sutton, aber woher …«
»Ich bin Rick Chandler.« Er machte Anstalten, ihr die Hand zu reichen, beschloss dann aber offenbar, jeglichen Körperkontakt zu vermeiden, und schob stattdessen die geballte Faust in die Hosentasche.
Es dauerte einen Augenblick, bis die Worte in Kendalls Bewusstsein einsickerten, doch dann riss sie die Augen auf. »Rick Chandler?« Ihre Tante Crystal hatte nur noch Kontakt zu einer Freundin gehalten, nachdem sie aus ihrem Haus in Yorkshire Falls in ein Pflegeheim bei New York City hatte umsiedeln müssen. Kendall starrte ihr Gegenüber an. »Raina Chandlers Sohn?«
»Der bin ich.« Noch immer wirkte er nicht übermäßig erfreut.
»Es ist lange her. Fast eine halbe Ewigkeit.« Sie war zehn Jahre alt gewesen, als sie bei Tante Crystal einen glücklichen Sommer verbracht hatte. Dann war bei der älteren Frau Arthritis diagnostiziert worden, und sie hatte sich nicht länger um Kendall kümmern können. Kendall erinnerte sich verschwommen daran, Rick Chandler damals begegnet zu sein. Oder war es einer seiner Brüder gewesen? Sie zuckte die Achseln. Sie war nur einen Sommer in der Stadt geblieben und hatte daher weder enge Freundschaften geschlossen noch war sie hinterher mit irgendjemandem in Verbindung geblieben.
Kendalls Leben war von frühester Jugend an von ständigen Ortswechseln geprägt. Ihre Eltern, ein Archäologenehepaar, unternahmen Expeditionen zu den abgelegensten Winkeln der Erde. Sie hatte es schon als Kind aufgegeben, sich über deren jeweiligen Aufenthaltsort auf dem Laufenden zu halten, und unterhielt heute nur noch einen sehr lockeren Kontakt zu ihnen.
Kendall hatte bis zu ihrem fünften Lebensjahr mit ihren Eltern im Ausland gelebt und war dann in die Staaten zurückgeschickt worden, wo man sie von einem Familienmitglied zum anderen weiterreichte. Sie hatte sich oft gefragt, warum ihre Eltern
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