Der Tag des Königs
immer mehr anschwillt. Der bald platzen wird. Und Hadda, die mir andauernd von neuem auftut. Immer wieder. Und wieder.
Der Kindheitstraum, der sich allmählich der Hölle nähert.
Zum Glück wachte ich auf, bevor es zu spät war. Das Ganze war noch kein Alptraum geworden. Hadda hatte die Küche verlassen, doch der Duft ihrer Suppe erfüllte das ganze Haus. Im Zimmer nebenan schlief mein Vater tief, er schnarchte laut, sehr laut. Träumte er auch von Hadda?
Ganz allein im Dunkeln begann ich, den Namen der Suppe zu wiederholen, um ihr Geheimnis besser in mir zu bewahren. Hsoua , Hsoua , Hsoua . Und genau in dem Moment, in dem ich fast wieder eingeschlafen war, sagte ich Hadda. Ich rief Hadda.
Sie erschien dann vor mir, nackt, schwarz und nackt, eine Schale Hsoua in der Hand. Ich dachte, ich würde träumen. Aber nein, nein, ich träumte nicht. Hadda war wirklich da, in meinem Zimmer, still, liebevoll, groà und klein zugleich. Hausmädchen anstelle meiner Mutter. Frau anstelle meiner Mutter.
Nein, ich träumte nicht. Hadda war keine nächtliche Phantasiegestalt. Sie hatte tatsächlich die Reise bis zu mir gemacht, in dieser Nacht.
Ich rief sie weiter. Ich hatte wieder Hunger.
Donnerstag
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Wie viel Zeit verbrachten wir mit dem Warten auf die Vorüberfahrt von Hassan II .? Zwei Stunden? Drei Stunden? Ich erinnere mich nicht mehr. Auch wenn ich noch so sehr in meinem Gedächtnis krame, finde ich keine Antwort. Fast erdrückt von der nervenaufreibenden Menschenmenge solch groÃer Anlässe und voller Ãberdruss, zum tausendsten Mal sinnlose, monotone patriotische Gesänge zu vernehmen, vergaÃen wir ihn in Wirklichkeit schnell, Hassan II . Wir sprachen über ihn, mussten ihn aber nicht unbedingt gesehen haben. Khalid stellte Fragen, erfand Spiele, die sich auf den König bezogen. Am Anfang. Dann gingen wir zu etwas anderem über. Wir sprachen noch einmal über uns, lange. Ich, er. Er, ich. Ich habe meinen Mund aufgemacht. Ich habe mein Maul und meine Augen aufgemacht. Ich habe mein Innerstes geöffnet. Ich bin Khalid in seinem tiefsten Inneren suchen gegangen, dort, wo er sich selbst noch nicht kannte. Ich habe geredet. Ich habe ihn zum Reden gebracht. Er hat mit mir gespielt. Er hat gelacht und geweint mit mir. Stundenlang.
Es war Donnerstag, ohne sich nach Donnerstag anzufühlen. Der Tag des Königs. Ohne den König.
Wir sollten ganz still bleiben. Unseren Respekt beweisen. Alle beide an dieselben Werte glauben. Uns zu dem geeinten und stolzen marokkanischen Volk gesellen, das seinen König erwartet. Wir taten das Gegenteil. Ungewollt. Wir folgten einem anderen Gott, einem anderen Gebieter, einem anderen Teufel.
Wir diskutierten endlos über alles und jedes, wobei wir
uns immer weiter von den anderen entfernten. Wir flüchteten. Wir sahen Hassan II . an jenem Tag nicht. Wir waren anderswo, gefährlich frei.
Wir redeten.
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»Hassan II .?«
»Ja, Omar. Wann ist er geboren?«
»1925.«
»Nein.«
»1920?«
»Nein. Schande über dich.«
»Also 1900?«
»Zweifach, dreifach Schande über dich.«
»Lass mir noch eine Chance, Khalid. SchlieÃlich bist du mein Freund.«
»Keine zweite Chance, die gibt es nicht.«
»Habe ich verloren? Endgültig?«
»Verloren. Bist du Marokkaner?«
»Ja.«
»Jetzt bist du keiner mehr.«
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»Wer ist dein König?«
»Hassan II .«
»Er ist nicht mehr dein König.«
»Ist das möglich?«
»Ja.«
»Wer bin ich, Khalid? Sag es mir.«
»Du hast verloren, Omar.«
»Alles verloren?«
»Er ist 1929 geboren.«
»Ah ja!«
»Hast du es gewusst?«
»Nein. Das hat mir nie einer beigebracht.«
»Das gibt's nicht.«
»Ich lüge nicht.«
»Du bist nicht mehr mein Freund, Omar.«
»Wer bist du?«
»Diskutiere nicht endlos. Jetzt noch den Monat. In welchem Monat wurde Hassan II . geboren?«
»In einem Sommermonat. Das weià ich.«
»Und in welchem?«
»Im Sommer. Im Frühsommer, stimmt's?«
»In welchem Monat? Los .â.â. Los .â.â. Wir kommen bald zum Ende .â.â. Schnell .â.â. Schnell, Omar.«
»Zum Ende für mich? Zum Ende des Verhörs? Dieses Alptraums?«
»Ganz einfach zum Ende. Schnell, rette deine Haut .â.â. In welchem Monat ist der König geboren?«
»Ich
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