Der Tag ist dein Freund, die Nacht dein Feind (German Edition)
vorher eine schöne Brühe, was meinen Sie dazu? So mein Kind, aber jetzt lasse ich Ihnen erst mal ein heißes Bad ein. Dann wird gegessen, und dann schlafen Sie sich erst einmal ordentlich aus!“
Die Hauswirtin plapperte energisch weiter, während sie die junge Frau die steile Treppe zu ihrem Zimmer hinauf schob und sich den Schlüssel geben ließ , da Emilys Hand so zitterte, dass sie das Schlüsselloch nicht traf. Mrs. Mallon verschwand kurz im Bad, um Wasser in die Wanne zu lassen und blieb mit einem Ausruf der Überraschung stehen, als sie wieder in das Schlafzimmer ihres Gastes zurückkam: Emily hatte sich auf das Bett fallen lassen und war bereits tief und fest eingeschlafen.
Es waren zwei Stunden vergangen, als Emily schließlich erwachte und vor lauter Hunger und Schmerzen nicht mehr klar denken konnte. Bei einem Blick ins Badezimmer sah sie, dass die Wanne mit einem Schaumbad gefüllt war, das mittlerweile wohl halb kalt war . Und dann sah sie auch, was sie geweckt hatte: Mrs. Mallon stand am Fenster neben dem einzelnen Stuhl, der vor dem kleinen Schreibtisch stand, und legte ordentlich Emilys Kleidung zusammen. Zunächst wollte Emily böse über diesen Eingriff in ihre Privatsphäre werden, doch dann wurde ihr klar, warum die Hauswirtin sich in ihrem Zimmer aufhielt: D ie alte Frau hatte eine Schwäche für Emily und musste halb wahnsinnig vor Sorge geworden sein. Und nun tat sie das, was eine Mutter für ihr Kind getan hätte, nachdem es versehrt Tage nach seinen Verschwinden nach Hause kam: S ie umsorgte Emily. Lächelnd , aber mühsam erhob sich die junge Frau und zischte dabei vor Schmerzen durch die Zähne. Das Geräusch ließ Mrs. Mallon aufmerksam werden.
„Oh, Sie sind aufgewacht, sehr schön. Ich hätte Sie sonst bald geweckt. Schlafen können Sie nachher noch, jetzt brauchen Sie erst einmal ihr Bad und etwas zu Essen.“
Und dann stand Prudence Mallon plötzlich einen Moment lang h ilflos im Raum, ohne einen Ton zu sagen. Als Emily sie fragend ansah, bemerkte sie die Tränen in den Augen der Frau.
„Mrs. Mallon, was…?“
„Emily, ich bin so froh, dass Sie wieder da sind. Ich hätte es mir nie verziehen, wenn Ihnen etwas zugestoßen wäre.“
„Oh, Mrs…“ „Prudy. Bitte, machen Sie mir die Freude und nennen Sie mich einfach Prudy.“
Emily nickte und schloss die herzliche, alte Dame sanft in die Arme, als ihr plötzlich ebenfalls Tränen in den Augen standen. Es tat gut, von einem lieben Menschen umgeben zu sein und in etwas, das sich wie ein normales Leben und ein Zuhause anfühlte , einzutauchen .
„Brauch en Sie Hilfe, mein Kind?“
„Nein danke, Prudy. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich nehme jetzt ein Bad, und danach würde ich mich sehr über eine Portion Ihres Schmorbratens freuen.“
Prudys Augen leuchteten auf, und sie ließ ihre neu e erklärte Ziehtochter schnell alleine, um das Essen vorzubereiten.
Es war halb acht Uhr abends. Emily saß auf ihrem Bett in der Pension und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Nach einem langen, heißen Bad, dem Versorgen ihrer Verletzungen und einer sehr groß geratenen Portion Schmorbraten mit Rotkohl und Kartoffeln ging es der jungen Frau schon wesentlich besser, und sie fühlte sich in der Lage, die letzten Tage Revue passieren zu lassen.
Da sie, dem Deal entsprechend, Botschafterin für Roy gespielt hatte, musste er sie nun gehen lassen, wenn er sich an sein Wort hielt. Sie war nicht erfolgreich in ihrer Mission gewesen, doch sie hatte ehrlich ihr Bestes gegeben. Ihr körperlicher Zustand musste der beste Beweis dafür sein. Diese Chance vor Augen ließ sie beinahe eine Art inneren Frieden empfinden , auch wenn das Gefühl durch ihre Wut auf Roy stark gedämpft wurde . Er hätte sie ruhig vorwarnen können, dass sie in den Fängen der VHA Folter zu erwarten hatte!
Sie würde in dieser Nacht zu Roy zurückgehen, ihm die Antwort des Ministers ausrichten und morgen den nächsten Flug zurück nach New York nehmen. Um das Haus und dessen Inhalt konnte sich ein Makler kümmern. Nach allem, was in den vergangenen Tagen passiert war, hatte Emily nicht mehr den Wunsch, die Sachen ihrer Mutter oder die ihrer eigenen Kindheit zu durchwühlen. Sie wollte alles einfach nur noch hinter sich lassen.
Ein leises Klopfen an ihrem Fenster riss sie plötzlich aus ihren Gedanken. Es war bereits dunkel, und ein ihr fremder Mann stand vor dem Fenster.
Emily zuckte zusammen. Er konnte gar nicht dort stehen. Sie wohnte im ersten Stock . Dann
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