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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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auf die andere springen wie ein vergnügtes Kind, und er konnte sich gut vorstellen, wie sie dreimal in der Woche schwimmen ging, dass sie tanzte und Rad fuhr und schwitzte. Er würde sie gleich noch einmal anrufen und ihr sagen, wie ungern er sie hatte ziehen lassen, wie leid es ihm getan hatte, nicht mit ihr frühstücken zu können, sondern mit seinen Kollegen, die bereits auf ihn warteten, um die wichtigsten Etappen der bevorstehenden Verhandlungen noch einmal kurz durchzugehen. Er ärgerte sich, dass er sich diese kleine Freiheit nicht einfach genommen hatte. Was hätte es schon ausgemacht? Während er den Kollegen seine Gedanken zur Entwicklungshilfe, die neu zu denken sei, vortrug, spürte er innerlich einen leisen Schmerz. Er hatte das Gefühl, dass die Kluft zwischen Helen und ihm eigenartigerweise mit der sich entwickelnden Nähe wuchs, nach dem Überschreiten einer gewissen Grenze, in München.
    Helen blinzelte in die Sonne, als sie aus dem Hotel trat. Sie warf den schweren Beutel vorsichtig über die Schulter, um die Bananen und Weintrauben nicht zu quetschen, und wandte sich in die Richtung ihrer Straße, den Kudamm weiter hoch. Dort lag im zweiten Hinterhof eines alten Hauses, das etwas heruntergekommen war, ihre preiswerte, kleine Wohnung im Erdgeschoss. Die Geschäfte waren um diese Uhrzeit noch geschlossen. Es waren nicht viele Passanten unterwegs. Die Männer der Stadtreinigung sammelten den Müll des letzten Abends auf und kehrten den Dreck weg; ein Doppeldeckerbus fuhr vorüber; in den Cafés wurden Tische und Stühle im Freien geputzt; an den Bäumen leuchtete das erste Grün. Helen dachte hungrig an das Frühstück im Hotel, der Kaffee hatte gut gerochen, die Brötchen waren sicher knackig und die Marmelade besonders gut; sie hätte es anstrengend gefunden, unter den Blicken anderer Menschen mit Julius am Tisch zu sitzen und womöglich Kollegen von ihm zu begrüßen. Sie war gern mit ihm zusammen, egal, wo; doch sie aß nicht wirklich gern in seiner Gegenwart. Sie redeten so viel, dass sie keine Ruhe dazu fand; außerdem nahm er sie so gefangen, dass sie sich oft ungeschickt verhielt.
    Sie holte sich beim Bäcker in ihrer Straße ein Croissant und kam sich albern vor, mit dem Wäschesack, auf dem das Signet des Hotels prangte, ich bin seine Dritte Welt, dachte sie, es ist doch irgendwie absurd, aber dann schlug ihre Stimmung unerwartet in Übermut um. Helen schob die schwere Doppeltür zu ihrem Haus auf, lief durch den vertrauten Hinterhof, schloss die Tür zu ihrer Wohnung auf und war erleichtert, nicht in diesem steifen Frühstückssaal sein zu müssen. Sie pfefferte ihre hohen Schuhe weg, schlupfte in ihre Clogs und stellte den schweren Wäschesack auf den Tisch in der schmalen Küche. Sie holte Äpfel, Bananen, Weintrauben und Orangen heraus, nahm drei der Orangen, um sie auszupressen, riss einer die Schale ab und biss hinein, schloss die Augen, das Fruchtfleisch war köstlich, süß, sie legte sie wieder fort und machte sich daran, einen Espresso aufzusetzen.
    Sie schämte sich im Nachhinein, dass sie angetrunken gewesen war und nach Essen gerochen hatte, dass sie ihn hatte warten lassen, wo er so wenig Zeit hatte, und sie bedauerte vor allem, dass sie nicht den ganzen Abend zusammen verbracht hatten. Seit er im Vorstand zu einem der beiden Sprecher aufgestiegen war, war sein Kalender noch voller, die Notwendigkeit seiner Präsenz an verschiedenen Orten auf dieser Welt noch zwingender, und die Möglichkeiten, sich einige Stunden freizuschaufeln, waren noch geringer. Helen seufzte. Sie spürte wieder empfindlich die Leere in ihrem Magen, riss ein Stück vom Croissant ab und schob es in den Mund, in dem ein paar Reste der Zahnpasta an den Zähnen klebten. Sie schraubte die Espressomaschine zu und setzte sie gerade auf die Gasflamme, als das Telefon im Flur klingelte. Sie war mit zwei Sätzen dort, riss den Hörer herunter, um sich zu melden, und trug den Apparat mit der langen Schnur in die Küche.
    » Ich bin nur noch einmal kurz auf meinem Zimmer«, hörte sie Julius, » ich muss sofort los, ich wollte dir nur einen schönen Tag wünschen und dir sagen –«
    Er zögerte, sie hörte ihn atmen. Sie hörte die Gasflamme.
    » Dass ich dich schon jetzt vermisse.«
    Er schwieg.
    » Ich dich auch«, sagte sie leise. Sie spürte überraschend Tränen aufsteigen.
    » Ich ruf dich an, ja?«
    » Ja, mach das! Und erzähl mir alles von Moskau, versprichst du mir das?«
    Der Espresso sprudelte nach

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