Der Tag ist hell, ich schreibe dir
hinzu, » an den wohlduftenden Füßen erkennt man den kultivierten Mann! Das hat man mir im Internat beigebracht, und ich habe es beibehalten. Mit sauberen Füßen lässt es sich besser denken!«
» So so«, sagte sie, » das werde ich mir merken! Das ist doch mal was fürs Leben!«
Sie lachten.
» Gib mir auch etwas, mein Kleid stinkt noch von gestern. Tut mir leid übrigens. War’s sehr schlimm? Ich glaube, ich habe den Wein nicht vertragen. Ich bin es einfach nicht gewohnt.«
» Ich habe mich schon gewundert. War aber halb so wild, nur schade, dass du so schnell eingeschlafen bist. Wir konnten gar nicht viel reden!«
» Er hat mich überredet.«
» Du hast dich überreden lassen!«
» Na ja.«
» Ist schon gut«, sagte Julius und reichte ihr die Talkumdose. Es war eine sehr elegante Dose, elfenbeinfarben, mit goldenem Rand. Helen roch daran, zog am Ausschnitt ihres Kleides, kippte sich etwas Puder hinein und verrieb ihn. Er schmeichelte der Haut. Julius schüttelte den Kopf und lachte. Dann packte er Helen bei den Schultern, zog sie hoch und kurz an sich heran.
» Wirklich schade, dass du gestern so müde warst!«
Er küsste sie sanft auf Stirn und Augen und fuhr mit der Hand über ihr kurzes Haar. Sie fühlte seinen nackten Körper durch ihr Kleid hindurch.
» Willst du dir denn die Haare nicht wieder ein bisschen wachsen lassen?«
Sie brummte etwas. Er griff nach der Kulturtasche und verstaute Rasierzeug, Aftershave, Zahnbürste, Zahnpasta und die Puderdose.
» Ich muss mich anziehen«, sagte er, » ich habe um acht den ersten Termin.«
» Um acht?«, fragte Helen unwillig.
» Ja, Vorbesprechung im Frühstückssaal.«
» Verstehe.«
Julius nahm ihre Hand, und sie durchquerten das Schlafzimmer zu einem angrenzenden Raum, in dem sich nur ein breiter Sessel und ein großer Schrank aus dunklem Holz befanden. Dieser Teil der Suite war mit einem dunkelblauen Teppich mit goldgelben Lilien darauf ausgelegt. Julius schob die Schranktür zur Seite und nahm eine Unterhose aus einem Fach. Das Morgenlicht fiel hell zum Fenster herein. Ein schöner Tag, dachte Helen. Sie hockte sich auf den großen Sessel und sah ihm zu, wie er sich Socken anzog, schwarze, sehr fein wirkende, sicher aus Seide oder merzerisierter Baumwolle, fast so lang wie Kniestrümpfe.
» Worum geht’s denn heute bei dir?«
» Heute Vormittag treffe ich Leute vom Ministerium für Entwicklungshilfe, Abteilung Südamerika.«
In diesem Augenblick sah Helen die ganze Situation wie von außen, eine verwirrende Erfahrung, die sie in der letzten Zeit häufiger machte, eine eigenartig neutrale Distanz: Julius Turnseck stand in Unterhosen und Socken da und sprach über die Expansion des Kapitalmarktes in der Dritten Welt, in der es darauf ankäme, den Leuten mit Investitionen zu helfen, Wohlstand und Freiheit zu entwickeln, während sie, Helen, mit angezogenen Beinen, im Sommerkleid, in einem großen Sessel saß. Helen, die sich nun verdoppelt fühlte, nannte die Entwicklungshilfe einen Vorwand, europäischen und amerikanischen Firmen neue Märkte und der Bank ein neues Tätigkeitsfeld zu erschließen. » Ich glaube nicht an das Gerede«, sagte sie, » dass es darauf ankommt, den Leuten zu helfen, sich selbst zu helfen. Ich meine, wenn sie etwas wollen, dann werden sie danach fragen, oder?«
» Sie haben danach gefragt, Helen. Sie wollen Kredite.«
Wie er plötzlich Helen sagte. Nüchtern. Ausgesprochen nüchtern, fast streng.
» Wer genau?«, fragte sie, » Die Regierung? Von welchem Land sprechen wir? Nicaragua? Bolivien? Eins der hoffnungsvollen Schwellenländer, auf dem Sprung ins amerikanische System? Oder eins von den bitterarmen, die vielleicht gar keine Verwestlichung wollen? Triffst du Amerikaner? Wofür? Eure Kredite gibt es doch für –«
» Ich habe dir doch gesagt, ich treffe Leute vom Ministerium für Entwicklungshilfe, außerdem ein paar unabhängige Leute, Wissenschaftler, und keine Manager von Firmen. Es kommen Berater von der Evangelischen Kirche dazu. Oder hast du zu denen auch kein Vertrauen? Ein paar Presseleute. Es geht um eine Anhörung verschiedener Standpunkte. Keine Angst, Helen, ich werde deine Ansichten nicht vergessen!«
Er öffnete die Schiebetür des Schrankes zur anderen Seite hin und nahm ein Hemd vom Bügel. Daneben hing ein dunkler Anzug. Alles akkurat.
Helen beobachtete, wie er sich das gestärkte hellblau-weiße Hemd überstreifte, den Kopf etwas anhob, um den ersten Knopf zu schließen, und dann
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