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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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alle weiteren, zügig, geschickt, sachlich. Sie hatte keine Lust, mit ihm zu politisieren. Sie hatte ihm das Buch von Ivan Illich über die Grenzen des Wachstums vor langer Zeit geschenkt, sie hatten oft genug über die Verschuldung der Dritten Welt gesprochen, die in manchen Ländern so hoch war, dass es unmöglich war, aus ihr herauszukommen. Dass in diesen Ländern, in denen bürgerkriegsähnliche Zustände und bittere Armut herrschten, nicht einmal klar war, ob die Gelder, die sie aus der westlichen Welt erhielten, überhaupt die richtigen Leute erreichten.
    » Wer ist denn noch mit dir hier?«
    Julius nahm zwei Manschettenknöpfe und legte sie an.
    » Außer meinem persönlichen Assistenten, Herrn Brückner, ist noch Ernst Lowitz hier. Wir werden heute Nachmittag zusammen …«, er zögerte, Helen sah ihn fragend an.
    » Wir fahren nach Ostberlin«, sagte er, » wir treffen Leute vom Handelsministerium, mehr darf ich dir nicht erzählen.«
    » Na, hoffentlich machen Sie keine Leibesvisitation bei dir!«
    Julius sah Helen einen Augenblick entsetzt an.
    » Ich hab dir doch von meiner Freundin erzählt. Sie dringen in alle Körperöffnungen ein. Aber du genießt wahrscheinlich einen besonderen Status. Dich wird sicher niemand behelligen. Worum geht es denn?«
    Julius fasste sich. Manchmal fand er Helen unmöglich.
    » Es geht um die Beteiligung an einem größeren Industriekomplex. Und danach treffe ich Leute vom Ministerium für Entwicklungshilfe –«
    » Wieso sind die hier in Berlin, die sitzen doch in Bonn?«, unterbrach Helen ihn.
    » Die Vertreter von der Evangelischen Kirche und ein paar anderen Interessengruppen der Dritten Welt wollten nicht, dass es im Amt in Bonn passiert. Sie wünschten sich einen neutralen Ort.«
    » Aha«, sagte Helen.
    » Und um einundzwanzig Uhr fliege ich zurück nach Frankfurt, weil ich morgen mit Ernst Lowitz nach Moskau fliege.« Julius zog sich die Anzughose an und schloss den Gürtel.
    » Nach Moskau? Ernst Lowitz nimmt dich mit? Was soll das heißen?«
    » Er tritt bald in den Ruhestand, er möchte, dass ich sein Gebiet übernehme.«
    » Lernst du etwa Gorbatschow kennen?« Helen wurde munter. Sie kreuzte die Beine zum Schneidersitz, als richtete sie sich auf eine längere Unterhaltung ein.
    » Dieses Mal noch nicht, aber ich bin mir sicher, dass das noch kommt.«
    » Da musst du jetzt wohl Russisch lernen!«, sagte Helen vergnügt.
    » Wenn du ab sofort mit mir Russisch sprichst!«
    » Ich bin ein Esel, dass ich es abgebrochen habe.«
    » Ich möchte mich dazu nicht äußern, Helen«, sagte er, als er die Weste zuknöpfte. » Wir können leider nicht zusammen frühstücken, ich muss gleich runter.«
    » Hab ich mir schon gedacht.« Helen zog einen Flunsch. Er nahm ihr Gesicht in die Hände und sah sie an. Um ihre Augen und an ihren Wimpern klebten Reste von Wimperntusche. Er atmete, als wollte er einen Seufzer andeuten.
    » Was denkst du, wer das am meisten bedauert?«
    Julius legte seine Armbanduhr an und wies mit dem Kopf zum anderen Raum, dem Salon der Suite, in dem sie abends in den beiden Clubsesseln gesessen hatten. Helen folgte ihm; sie suchte nach ihrer Tasche, die sie am Abend irgendwo hingepfeffert hatte. Er ordnete Papiere, die noch auf dem Schreibtisch lagen, und packte sie in seine Aktentasche. Diese unglaubliche Haltung, dachte Helen, durch und durch, ich kenne niemanden sonst, der sich so bewegt, mit dieser ganz und gar natürlich anmutenden Eleganz. Die Formung der ersten Natur, bis die zweite zur ersten wird, ein halbes, ungenaues Zitat schoss ihr durch den Kopf. Julius bemerkte, dass Helen ihn musterte. Feine Röte überzog für Sekunden sein Gesicht, dann lächelte er sie aufmunternd an.
    » Es könnte sein, dass einige Herren im Frühstückssaal sich von dir ablenken lassen«, sagte er, » mit denen ich Wichtiges zu besprechen habe.«
    » Na klar«, sagte sie. » Gesetz der Macht No. 5: Achte auf deine Reputation. Gesetz No. 3: Zeige dem Feind niemals deine schwachen Stellen.«
    » Ach, Helen, bitte. Du weißt, dass ich dich nicht verstecke.«
    » Ich weiß«, sagte sie. » Ich bin nur deine schwache Stelle.«
    » Weißt du, ich würde an dieser Stelle eher Gesetz No. 2 geltend machen: Vermische niemals Privates mit Geschäftlichem. Was ist das überhaupt für eine Liste? Macchiavelli? Die hast du doch erfunden, oder? Sei nicht traurig, ich bitte dich, wir müssen einfach ein paar Punkte hochkonzentriert durchsprechen, wir haben nur eine halbe Stunde

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