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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Zeit.«
    » Ist schon gut. Ich bin ja Kummer gewohnt. Nicht Macchiavelli, frei nach Balthasar Gracián, Das Handorakel oder auch Die Kunst der Weltklugheit.«
    » Aha. Kann ich dir noch etwas Gutes tun? Soll ich dir etwas zum Frühstücken aufs Zimmer bestellen?«
    » Ich bitte dich, Julius!«
    » Entschuldige. Es war … kann ich dir denn nicht irgendeinen kleinen Wunsch erfüllen? Lilja? Wir haben über so vieles noch gar nicht gesprochen!«
    Julius sah sich in der Suite um. Sein Blick fiel auf eine riesige Schale auf dem Tisch, die von Bananen, Orangen, Äpfeln und Weintrauben überzuquellen schien.
    » Willst du dir nicht das Obst mitnehmen? Es verkommt hier sowieso nur! Kein Mensch kann so viel Obst in einer Nacht essen.«
    Helen folgte seinem Blick.
    » Ich weiß nicht«, sagte sie, » wie soll ich das denn tragen?«
    Julius sah sich noch einmal um. Er überlegte kurz. Er verschwand Richtung Schlafzimmer und kam mit einer zusammengefalteten weißen Plastiktüte zurück.
    » Es ist zwar nur ein Wäschebeutel«, sagte er, » aber der hält einiges an Gewicht aus.«
    Helen lachte über seinen Pragmatismus.
    » Nicht zu glauben!«, sagte sie.
    Er faltete den Beutel auseinander, auf dem in goldener Schreibschrift » Hotel Kempinski« stand. » Halt mal«, sagte er zu Helen, » na, mach schon.«
    Sie ließ ihre Tasche fallen und hielt die Tüte auf. Systematisch packte er das Obst hinein; die harten, unempfindlichen Äpfel ganz unten, dann Apfelsinen, Bananen und obenauf die empfindlichen Weintrauben. Helen schüttelte den Kopf über ihn. » Du bist verrückt«, murmelte sie, » total meschugge. Wie soll ich denn damit am Portier vorbei? Das ist doch peinlich, oder nicht?«
    » Liebes Kind«, Julius sah sie vergnügt an, » mit mir zusammen sollte dir überhaupt nichts peinlich sein!«
    Im Fahrstuhl nach unten schlug ihnen schon der Duft von frischem Kaffee entgegen. Sie standen nebeneinander und schwiegen. Helen fiel nichts ein, was sie auf die Schnelle oder einfach so dahin sagen könnte. Sie hatte einen grässlichen Hunger, der ihr den Magen zusammenkrampfte; sie war es gewohnt, morgens nach dem Aufstehen sofort einen heißen Tee zu trinken und ein halbes Brot zu essen; wenn sie nicht bald etwas bekäme, würde ihr schlecht.
    Gleich wird sie das Foyer des Hotels verlassen, dachte Julius und küsste Helen, bevor sich die Fahrstuhltür im Erdgeschoss öffnete. Sie würde den Raum, in dem er sich mit ihr befand, unwiderruflich in diese Bewegung hinein verlassen, von ihm weg, und er würde nichts, aber auch nichts dagegen tun und auch nicht tun können. Er konnte Pipelines von einem Kontinent zum anderen ermöglichen, er konnte Gespräche mit Leuten führen, die als unansprechbar galten, er konnte seine Kollegen in langen, mühsamen, aber doch von seinem Elan inspirierten Sitzungen von Entscheidungen überzeugen, die sie zu Beginn der Sitzung als absurd verworfen hatten – aber hier, in dieser Situation, blieb ihm nichts anderes übrig, als ihr hinterherzusehen.
    Umso mehr genoss er den kurzen Augenblick im Foyer des Hotels, in dem sie sich verabschiedeten. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, dass ihm der Empfangschef respektvoll zunickte. Er zog Helen dicht an sich heran, wie er es immer tat, um sie auf beide Wangen zu küssen. Er sah ihr nach, wie sie durch die Drehtür in das helle Licht des Kudamms verschwand, in ihrem schwarzen Kleid, das aussah wie ein gefärbtes, langes Männerunterhemd, mit dem breiten rosa Gürtel, wie sie auf den hohen Schuhen leicht stakste, mit dem Wäschesack aus weißem Plastik in der Hand, der so schwer war, dass ihre linke Schulter ein wenig nach unten gezogen wurde. Halt sie gerade!, hätte er ihr gern hinterhergerufen, nimm sie zurück, dann trägt es sich leichter, Helen! Doch sie war schon draußen. Helen!, hätte er gern gerufen, einfach so. In diesem Augenblick sah er, wie sie vor der Tür den Beutel mit einer energischen Bewegung über die Schulter warf.
    Im Frühstückssaal, so erzählte er es Helen später am Telefon, mitten im Gespräch mit den Kollegen, musste er an sie denken, dass sie wieder nicht gefahren werden, sondern zu Fuß laufen wollte, trotz des schweren Beutels mit dem Obst. Sie ging gern zu Fuß, wie er, auch wenn er sich eher mit einem sportlichem Tempo dabei bewegte, während sie schlenderte, so wie sie stundenlang auf dem Bett liegen und lesen konnte, obwohl sie ihm immer wieder versicherte, wie unruhig sie sei. Und tatsächlich konnte sie von einer Sekunde

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