Der Tag ist hell, ich schreibe dir
über seinem japanischen Rinderfilet, im Restaurant, woher sie das denn wisse? Das sei ganz ausgeschlossen, wie sie das habe träumen können, aber ja, es gebe sie, und sie habe ihm gerade gestern gesagt, dass sie schwanger sei, und was er denn jetzt tun solle.
Helen hatte lachen müssen, als sie es Kepler erzählte; doch eigentlich war sie wütend auf den Mann gewesen, der ihr am Ende gesagt hatte, dass siebenundzwanzig Redakteure sich in das Drehbuch einmischen würden und er selbstverständlich an gewisse, ungewöhnliche Liebesspiele denke, die in dem Film vorkommen müssten, wegen des Publikums natürlich, er wäre ganz anders, er bräuchte das alles nicht. Und er hatte einen Regisseur genannt, der interessiert sei, und dieser Regisseur war bekannt für Politthriller mit Szenen gewalttätiger Sexualität, und es klang so, als stellte er sich vor, dass die Helen im Film Julius in der Badewanne nackt auspeitschen würde oder etwas in diese Richtung, und Helen hatte die Espressotasse umgekippt. Zwei Tage später hatte sie dem Produzenten abgesagt und allen anderen auch.
Jetzt wollte Helen etwas von Jonathan Kepler wissen.
Sie hatte sich in Julius’ Geschichte eingearbeitet wie in einen fremden Gegenstand, und aus diesem Abstand heraus fragte sie sich, ob Julius in den Achtzigerjahren von der Stasi überwacht worden war, zumal er oft nach Moskau gefahren war und sich außerdem für die Wiedervereinigung eingesetzt hatte. Sie hatte einem engen Freund von ihrer Recherche erzählt, der sich an einen Freund von früher erinnerte, der an der Freien Universität die Abteilung für die Aufarbeitung der Geschichte der SED leitete. Sie besuchten ihn in einer Villa in Dahlem, in der das Institut untergebracht war. Halb stolz, halb amüsiert zeigte Wilfried Lerner ihnen das Badezimmer. Über der Wanne hing ein Foto von Sophia Loren. » Sie hat hier mal kurz nach dem Krieg übernachtet und hier drin gebadet. Und später hat ein Wissenschaftler Tests zum Vogelgrippevirus durchgeführt, hier im Keller, an Hühnern. Als wir eingezogen sind, hat es ziemlich streng gerochen. Und ganz früher …«
Sie hätten wenig gefunden, erklärte Lerner kurz darauf, nur einen Hinweis in einem Aufsatz, in dem Julius Turnseck erwähnt worden sei. » Es muss da irgendwo eine Karteikarte geben, wie sie die Stasi für solche Vorgänge immer angelegt hat, vielleicht finden Sie etwas im Archiv der SED . Waren Sie schon bei der Birthler-Behörde?«
Helen verneinte. Sie überlegte. Sie ging davon aus, dass die Zeitungen sich damit schon befasst hätten, und wollte Jonathan Kepler danach fragen. Sie dachte, Kepler wüsste etwas darüber oder könne leichter als sie etwas darüber herausfinden. Sie rief ihn an. Sie trafen sich in einer Kreuzberger Kneipe, nach Dienstschluss. Er kam mit dem Fahrrad, mit Helm, Helen mit der U-Bahn, zu Fuß. Sie tranken ein Bier zusammen, an einem der abgenutzten Holztische, bei schummrigem Licht, und Jonathan Kepler begann von früher zu erzählen. Beim zweiten Bier gingen sie zum Du über, und Helen fragte Kepler aus, woher er gekommen sei, was er gemacht habe. Am Ende packte er einige Fotokopien aus, sämtliche Artikel, die er in den Achtzigern über Julius und die Deutsche Aufbau verfasst hatte, und alle Interviews, die er mit Julius geführt hatte.
» Und von Birthler?«, fragte Helen.
» Nichts, leider. Sprich mal mit Lutz Steinbeck, er ist unser Mann dafür.«
» Ich weiß nur«, sagte sie jetzt im Büro von Lutz Steinbeck nach kurzer Überlegung, » er selbst ist manchmal geflogen, aber sein Fahrer, Herr Lippens, hat ihn dann hier chauffiert. In München auch … seltsam, er flog, und Herr Lippens tauchte mit dem Wagen auf. Aber ob das ein Wagen der Münchner oder Berliner Zentrale der Bank gewesen ist oder sein eigener … ich weiß nicht … ich bin eigentlich immer davon ausgegangen, dass Herr Lippens immer in derselben Limousine gefahren ist.«
Helen hatte ihn vor Augen, in seiner grauen Fahrerjacke, ein mittelgroßer, schlanker Mann, wie er neben dem Wagen stand und die Tür aufhielt.
» Warum fragen Sie?«
» Sagen wir mal so: Die Stasi konnte eigentlich nur Leute auf ihrem Hoheitsgebiet abhören, also im Osten, und wenn er mit dem Wagen Transit gefahren wäre, hätten sie dort sein Funktelefon abhören können.«
» Verstehe.«
» Suchen Sie mir doch mal alle Termine raus, wann er hier in Berlin war, von denen Sie wissen, und wann Sie selber in Ost-Berlin waren. Und vielleicht von Ihren
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