Der Tag ist hell, ich schreibe dir
Geheimdiensten und auch mit den Verbindungen der RAF zur Stasi befasst. Paul Scott, der einen tief sitzenden Hass gegen die Diktatur der ehemaligen DDR hatte, interessierte sich besonders für diesen Zusammenhang.
» Was denken Sie darüber, Helen?«, fragte er und sah sie neugierig an. » Wieso glaubt Frau Turnseck, dass Sie etwas zu diesem Thema wissen? Sie hat mehrmals Ihren Namen erwähnt und immer wieder gesagt, was Russland und die DDR betrifft, wüssten Sie –«
» Ich weiß gar nichts«, sagte Helen, » ich weiß nur, dass Julius Turnseck sich leidenschaftlich für die Wiedervereinigung Deutschlands eingesetzt hat und ich ihm alles erzählen musste, was ich in der DDR hörte und sah. Ich weiß, dass er dem Bundeskanzler nach dem Mauerfall Empfehlungen aussprach, die der Kanzler, wie er sich damals ausdrückte, in den Wind schlug.«
» Was hat er ihm geraten?«
Paul Scott machte sich Notizen auf einem kleinen Block.
» Er riet ihm, die Wiedervereinigung langsam anzugehen, den Leuten nicht zu viel zu versprechen und sie nicht zu bevormunden. Man solle ihnen, wie der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg, ein Programm zum Wiederaufbau anbieten, das ihren eigenen Vorstellungen zumindest insoweit entsprach, dass es sie reizte, das Land eigenständig aufzubauen. Die DDR war ja komplett pleite.«
» Denken Sie, dass Führungskräfte der ehemaligen DDR etwas gegen seine Vorschläge hatten?«
Helen überlegte. Sie hatte noch nicht die Akten eingesehen, als sie mit Paul Scott sprach. Sie wusste nur aus der Presse, dass viele der » Führungskräfte« in den Achtzigerjahren Staatseigentum zu eigenen Zwecken in den Westen abgeführt hatten und nun lukrative Geschäfte betrieben. Sie sah auf die sommerliche Spree, als ob sie in den Wellen eine Antwort finden könnte. Paul Scott wartete geduldig.
» Vielleicht wusste er etwas über Transaktionen, von denen verschiedene Beteiligte nicht wollten, dass es ans Licht der Öffentlichkeit gelangen könnte. Mit seinem Hang zur Ehrlichkeit und rückhaltlosen Aufklärung verschleierter Vorgänge hätte er vielleicht über Dinge forschen lassen, die andere gern im Verborgenen belassen hätten.«
» Sehr interessant«, sagte Paul Scott und kritzelte etwas auf seinen Block. » Aber welches Interesse hätte die DDR haben können, ihn aus dem Weg zu räumen? Wäre sie von seinen Empfehlungen, wie Sie sagen, abhängig gewesen? Was hätte er gern durchgesetzt? Wer hätte Schaden daran genommen?«
» Ich weiß das nicht«, sagte Helen. Sie wollte nicht anfangen zu spekulieren. » Aber Sie haben recht. Es kommt darauf an, erst mal zu fragen: Wer genau hatte welche Interessen? Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht an ideologische Gründe für diesen Mord. Ich glaube, es ging um handfeste wirtschaftliche Interessen. Nach außen konnte es natürlich gut so motiviert werden, und sollte die Stasi tatsächlich mit den Terroristen zusammengearbeitet haben, konnten sie natürlich beide sagen: Dies ist ein Schlag gegen den Kapitalismus, dessen feindliche Übernahme wir nicht wünschen und die wir boykottieren werden, wo wir es nur können. Was vermuten Sie denn?«
» Ich denke schon«, sagte Paul Scott bedächtig und leise, » dass es da eine spannende Verbindung gab. Ich weiß, dass ein Mann gestanden hat, für die Stasi siebenundzwanzig Morde begangen zu haben, der zugleich hier mit dem engeren Netzwerk der RAF zu tun hatte. Nur hat er nicht genau gesagt, wen er umgebracht hat.«
» Siebenundzwanzig? Das gibt es nicht!«
» Doch«, sagte Paul Scott, » und er ist für jeden einzelnen gut bezahlt worden, davon können Sie ausgehen.«
Helen sah ihn entsetzt an; sie befiel ein mulmiges Gefühl.
» Woher wissen Sie das?«
» Ein als CIA -Mann getarnter Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes hat vorgegeben, ihn für einen Mord anheuern zu wollen.«
» Wer sollen denn diese siebenundzwanzig Personen gewesen sein?«
» Das kann ich Ihnen nicht sagen. Sehr interessant ist die Sache aber auch deshalb, weil die CIA bis vor Kurzem geleugnet hat, Mörder anzuheuern. Ich habe noch ein paar sehr wichtige Dinge herausgefunden«, sagte Paul Scott, der die Wirkung seiner Worte auf Helen sehr wohl zur Kenntnis nahm, » über die Arbeitsgemeinschaft Minister, auch › Die Firma‹ genannt. Sie haben im Oderbruch Sprengübungen mit Autos gemacht. Man hat lange nichts von dieser Sondereinheit an diesem Ort gewusst, weil sie 1987 aufgelöst wurde, angeblich, weil Soldaten dort Schlafsäcke gestohlen
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