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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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mangels Publikum nicht statt. Eine Zeile in der Szene, eine im Bad Wildbader Kurier. Ein alter Herr, der ebenso enttäuscht wie ich war, sagte: » Wenden Sie sich an die Presse!« Eine dickliche Frau, die sich zuständig zeigte, hatte schwarzes strähniges Haar, steckte in einem alten Mantel und merkwürdiger Beschuhung. Sie diskutierte mit einem aufgedunsenen, stoppelbärtigen Mann mit zugekniffenen Augen.
    Ich fragte, ob wir nicht in eine Kneipe mit dem Sänger gehen könnten, in der junge Leute wären, die bestimmt gern zuhören würden, aber eben nichts wüssten von diesem Konzert. Der Stoppelbart mit starkem Akzent fuhr mich an, die Leute hier hätten wohl kein Interesse, Kaczmarski hätte es nicht nötig, seinem Publikum hinterherzulaufen, ich würde ja selbst sehen, acht Männeken, es wäre eine Zumutung, ihn da singen zu lassen.
    » Wollen Sie, dass wenigstens einige Leute ihn hören können oder gar keine? Wer sind Sie überhaupt?« Ich wurde wütend, ich war extra hergefahren, ich wollte den polnischen Sänger hören. Der Stoppelstoffel schafuterte weiter. » Verdammt«, sagte ich, » es gibt doch Situationen, in denen man darüber hinwegsehen sollte, ob gut oder schlecht organisiert wurde, und es selber in die Hand nehmen! Hier kennt ihn eben keiner!«
    Der Stoppelbart sagte zu zwei Frauen im Schlepptau: » Wir gehen jetzt ins Schwabenbräu und trinken ein Bier!«
    » Biertrinken?« Ich heulte bald vor Wut, so was Blödes! Schließlich fragte mich ein junger Mann im Verschwörerton, ob ich mitkommen wolle, in eine private Wohnung, mit dem Sänger, vielleicht würde er dort singen. Er sei der Kameraassistent von dem kleinen Dicken, der Andrzej heiße und einen Film über Jacek mache.
    Wir landeten erst mal in einer Kneipe, die ich sicher niemals wieder betreten würde, Skatspieler, cholerische Rotköpfe, die Bierkrüge stemmten, Lärm und Rauch, Schweißgeruch. Jacek Kaczmarski, der Sänger, war keine Schönheit, hatte aber wache Augen. Er sprach mich an, englisch, französisch. » Ma petite«, sagte er, ich war die einzige Unbekannte in dieser Gruppe von Polen und Deutschen. Man sprach polnisch, und ich verstand es nicht, ich kannte nur ein paar Brocken Wasserpolnisch von Mama und Opa, bosche moi (mein Gott) und poschundek machen (aufräumen), nicht zu verwechseln mit puscheminka (das durfte ich nur sagen, wenn ich mit Mama allein war, es bedeutete so viel wie Muschi ). Andrzej wollte sich bei Jacek einschmeicheln, er fragte mich mit misstrauischen Augen, von oben runter: » Was schreibst du denn da?« (Meine Notizen.) » Warum stellst du diese Frage?« (Warum bist du hier? Wie ist es in deiner Heimat?) » Es interessiert mich«, sagte ich, » ich bin dir doch keine Rechenschaft schuldig!« Er lachte blöd. Andrzejs Augen waren klein, und seine Haut sprach von zu viel Galle. Jacek war jung, er hatte viel gegessen und noch mehr getrunken. » Das ist Katharsis«, sagte er, das dunkle Bier in einem Zug wegkippend. Und dann erzählte er mir von Polska, der Kultur, die zwischen Ost und West hänge, die Geschichte im Herzen drinnen, weil das Außen immerzu bedroht und von kurzem Bestand sei, von Fremden besetzt, von immer anderen.
    » Ein existenzialistisches Land«, sagte er und beugte sich so weit es ging zu mir, » du verstehst?« Ich nickte, klar. » Aber das Volk braucht auch den Glauben«, sagte er. Also kämpften sie, Symbolfiguren für die Solidarnosc, » Libertas«, drei junge Sängerpoeten. Seine Frau sei drüben, » try to get her out«, sagte er und berührte meinen Arm. Ich zog ihn weg. Die Frau gegenüber, die übersetzte, wenn er schnell ins Polnische fiel, sah mich argwöhnisch an. Sie war so um die dreißig. Neben ihr hockte der kleine Dicke. Später, bei Andrzej in der Wohnung, saßen alle herum und rauchten und tranken und redeten laut; eine Kassette lief, mit Jaceks vibrierender Stimme darauf, ich hörte und schaute. Die Dreißigjährige, schmallippig, kurzhaarig, schwankte zu einer Matratze und rief in die Runde: » Hey, komm her, sag nicht, ich bin betrunken, streichel mich, kann ich bleiben die Nacht?« Andrzej beugte sich zu ihr hinunter, grölte etwas halb singend und schrie quer durch den Raum: » Jacek, Bruder, sing!«
    Jacek saß am Ende des langes Tischs, schüttelte den Kopf, Andrzej sprang herum, brachte ein knalloranges Gewand, aus Synthetik, weit geschnitten, zog es Jacek über den Kopf, schmeichlerisch, Jacek lachte, spielte mit und bekam noch ein oranges Tuch um den Hals

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