Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
Vom Netzwerk:
entfernt, in Essen, und auf dem Weg zur Schule gingen meine Schwester und ich gern bei ihnen vorbei, es war nur zwei Straßen weiter. Aber irgendwie mochte ich den Geruch des Geschäfts nicht so gern. Sie haben noch selbst geschlachtet und Wurst gemacht.«
    Er gibt sich Mühe, dachte ich und horchte auf seine Stimme, die dunkel und hell zugleich war, wie etwas, das genau richtig temperiert ist, auch wenn das ein Wort für Musik ist oder genauer gesagt, aus der Musik. Das ist es, dachte ich, seine Stimme klingt musikalisch. Er hat so einen angenehmen Rhythmus beim Sprechen, nicht zu schnell, nicht zu langsam, lebendig eben. Und er sah mich dabei die ganze Zeit mit seinen aufmerksam freundlichen Augen an.
    » Wie bleiben Sie eigentlich so schlank?«, rutschte es mir heraus. » Bei den vielen Geschäftsessen? Sie haben doch bestimmt viele Geschäftsessen?« Mist, dachte ich, ich habe wirklich ein Talent für passende Gesprächsthemen!
    » FdH «, sagte er und lächelte über meine Frage, » grundsätzlich friss die Hälfte. Ich lasse einfach immer die Hälfte liegen.«
    » Schade ums Essen«, sagte ich. Er grinste, dabei zog er die eine Seite des Mundes etwas weiter nach oben.
    » Es tut mir auch leid«, stimmte er mir zu, » und wenn es geht, sage ich vorher dem Kellner Bescheid, aber Sie können sich sicher vorstellen, dass es bei einem Essen mit diversen Industriellen, Politikern und Financiers komisch wirkt, wenn ich sage, bitte eine Kinderportion?«
    Jetzt musste ich kichern. » Finden Sie es sehr unpassend, dass ich einem Großbankier gegenüber gesagt habe: eine Kinderportion, bitte?«
    » Nein«, lachte er, » wir sind doch hier privat!«
    Seine Hummersuppe und mein Kartoffelsüppchen kamen. Hoffentlich ist keine Rinderbrühe drin, dachte ich. Ich hatte gar keinen Appetit, ich war viel zu aufgeregt. Er faltete mit Schwung die gestärkte weiße Serviette auseinander und legte sie auf seinen Schoß; ich machte es ebenso, nur etwas verhaltener.
    » Wir müssen jetzt mal über was anderes als Essen reden«, sagte ich, als ich den Löffel in die Hand nahm. » Essen interessiert mich eigentlich überhaupt nicht. Was haben Sie zum Beispiel in Moskau gemacht?«
    » Ich habe ein paar, sagen wir, Geschäftspartner getroffen, und einen Cellisten, den ich einmal in New York kennengelernt habe und den ich gern wiedersehen wollte.«
    » Oh«, sagte ich, » und der wollte nicht in New York bleiben? Und die Geschäftspartner? Ging das einfach so? Müssen da nicht immer Leute vom Außenministerium dabei sein?«
    » Nein, er wollte wieder in seine Heimat, und ja, es waren Politiker von der Duma dabei. Und zwei Dolmetscher und ein Protokollant.«
    » Na ja, er ist ja offensichtlich privilegiert, Ihr Musiker, wenn der einfach mal so reisen durfte und dann auch noch zurückgefahren ist.«
    » Das könnte man so sagen. Sie interessieren sich für Russland?«
    » Ja!«, sagte ich. » Ich lese alles, was darüber in den Zeitungen steht und sehe mir sämtliche Magazine im Fernsehen darüber an. Heute Morgen beim Frühstück habe ich von Turgenjew Erste Liebe gelesen, aber der ist ja ein Klassiker.«
    » Heute Morgen? Noch vor der Schule? Das ist ja toll!«
    » Ich würde gern mal nach Moskau fahren«, sagte ich schwer seufzend, als wäre ich eine von Tschechows drei Schwestern, » und Russisch lernen.«
    » Vielleicht kann ich Sie ja mal mitnehmen!«, sagte er.
    Ich lächelte bedauernd und seufzte noch einmal » das wäre schön«, wie man es von etwas sagt, von dem man weiß, dass es ohnehin nie eintreffen wird. » Was hat denn der Cellist gespielt?«
    Plötzlich wurde alles ganz einfach. Ich weiß nicht, warum. Wir aßen beide ein bisschen Salat und ließen die Hälfte liegen, dann aßen wir Safranreis auf oder an oder über Spinatbett und er Fisch noch oben drauf und wir ließen die Hälfte liegen, und, um ehrlich zu sein, es schmeckte schön, aber es hätte auch Grünkohl mit Honig oder Mangold mit Bohnerwachs sein können, es war mir völlig egal. Wir unterhielten uns, das war entscheidend. Wir redeten und redeten. Er erzählte mir von der Musik, von Schostakowitsch, der in der Sowjetunion heftig umstritten war und den der Mann in Moskau offenbar wie ein junger Gott gespielt hatte, allerdings in New York, und von Brahms, den er verehrte und liebte. Wir kamen vom Friss-die-Hälfte zur Sparsamkeit überhaupt, das heißt wir kamen auf das zu sprechen, was wichtig ist im Leben, worin man bescheiden sein kann, worin anspruchsvoll. Ich

Weitere Kostenlose Bücher