Der Tag ist hell, ich schreibe dir
gebunden. » Die Farbe der Revolution«, schrie Miss Dreißig von der Matratze. Andrzej machte anzügliche Bewegungen, sagte, » wer trinken will, holt sich«, und zog ein lüstern-fieses Gesicht, als er eine Porzellandose öffnete, seine Pfeife mit Shit füllte, anzündete, saugte, sie weiterreichte. Jacek tat den Teufel zu singen; er kam zu mir, in die Ecke hinterm Sofa, ein Beobachtungsposten, halb in den Raum geöffnet, und fragte nach meinem private life, und ich antwortete, ich hätte eine Stimme im Kopf, die mir sagt, when it is time to go, und er redete von der Sääle und fasste meine Hand mit seiner feuchten und wollte mir einen Schnaps einflößen, » little devil in little girls«, sagte er, » ich trinke nicht«, sagte ich, in Großbuchstaben, » aber ich geh jetzt nach Hause, wenn du nicht singst«, und so stand er auf und sang, seine Lieder über Polen, Jaruzelski und die Aufstände, und dann Volkslieder vom Saufen und Vögeln, die haltlose Dreißigjährige übersetzte fragmentarisch und irgendwann lachte sie nur noch und guckte dämlich geil. Aber es störte mich nicht wirklich, ich sah Leben und Jacek, er sang ein leises, zärtliches Lied, und ich verstand alles ganz ohne Übersetzung, es gehörte auch nicht viel dazu.
Ja, ich bin mir sicher, dass ich dir davon erzählte, vor allem wegen Polen, weil dich das sicher interessiert hat, auch wenn ich es nicht mehr weiß, wann oder wie ich es erzählte. Ich sehe nur, wie ich aufgekratzt nach Hause durch die Dunkelheit in Papas Polo fuhr und die halbe Nacht wach war und alles aufschrieb, weil ich einfach gar nicht schlafen konnte.
3
Am nächsten Abend stand ich im Foyer des großen Frankfurter Hotels, an dessen Namen ich mich nicht erinnern kann. Ich war mit dem Polo zum Wildbader Bahnhof und dann mit der S-Bahn nach Frankfurt gefahren und zu Fuß durch die Fußgängerzone gerannt, bis mir heiß war. Ich konnte die Spannung kaum ertragen, dich allein zu treffen. Über Nacht war es mild geworden, ich trug meinen Trenchcoat, eng gegürtet, ein grünes Tuch, vom Hals in den Gürtel hineindrapiert, was ich todschick fand, und meine flaschengrünen Wollstrumpfhosen. Mein Gaumen war trocken, ich musste mich räuspern, als ich an der Rezeption nach dir fragte. » Ich werde erwartet«, fügte ich nicht ohne Stolz hinzu, etwas Kindliches, aber sehr Natürliches, wie Katherine Mansfield es einmal so schön gesagt hat.
Wenn ich an diesen Augenblick im Hotelfoyer denke, sehe ich mich selbst wieder wie in einem Film, den ich vorwärts und rückwärts spulen lassen kann, ich sehe, wie ich da stehe, etwas schüchtern und verloren und übermütig und außer Atem und neugierig zugleich, und ich sehe, wie du die große Treppe heruntergelaufen kommst, strahlend, wie ein junger Mann, was ich mir immerzu selbst sagte, weil ich inzwischen dein genaues Alter kannte, zweiundfünfzig Jahre nämlich, und es nicht glauben konnte. Du trugst einen eleganten dunkelgrauen Anzug, ein helles Hemd mit abgerundetem weißem Kragen und Schlips. Du kamst mit ausgestreckter Hand auf mich zu, ich glaube, du warst fest entschlossen, mir meine Befangenheit zu nehmen, die größer war, als du vielleicht gedacht hast.
» Haben Sie gut hierher gefunden?«
» Ja, vielen Dank.«
» Wollen wir eine Kleinigkeit essen?«
» Gern.«
Scheiße, dachte ich in Wahrheit, jetzt kommt das Vegetarierproblem. Das Restaurant des Hotels war unaufdringlich elegant, was laut Mama die wahre Eleganz ausmacht, bloß nicht protzen. Es gab einen Platzteller, weiße gesteifte Servietten, dezente Dekoration aus frischen Blumen. Wir wurden an einen Zweiertisch an einer den Raum teilenden Holzwand geführt, sodass wir nur an einer Seite in den Raum sahen beziehungsweise der Raum uns. Der Kellner war zuvorkommend, aber du warst schneller und hast mir aus dem Mantel geholfen. Ich kam etwas ungeschickt aus dem Mantel heraus, unter dem ich wie so oft den braunen Lederrock trug, dazu eine dunkeltürkise Bluse mit grün besticktem Stehkragen – ich fand die Farbe schön zu meinen Augen – und eine hübsche graue Strickjacke. Ich hatte die Wimpern getuscht und einen Lidstrich gezogen.
Du hast mir den Stuhl vom Tisch gezogen, sodass ich mich setzen konnte, hast dich mir gegenüber hingesetzt und mit einer kleinen Bewegung die Ärmel des Jacketts etwas hochrutschen lassen, um die Ellbogen leichter aufstützen zu können und die Hände zusammenzubringen. Du hast mich keine Sekunde aus den Augen gelassen. Absolut
Weitere Kostenlose Bücher