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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Sie dahin kommen?«
    » Moment bitte«, sagte ich, » ich muss fragen.«
    Ich ging in die Küche zu meiner Mama und fragte, ob es o. k. wäre, wenn ich Herrn Turnseck nächste Woche zum Abendessen träfe, und ich tat so cool wie möglich, als hätte nur irgendeiner meiner Kumpels gefragt, ob wir ins Kino gehen könnten.
    Meine Mama nickte, noch immer sprachlos. Sie fand es normalerweise nicht so passend, wenn junge Mädchen mit älteren Herren ausgingen.
    » O. k.«, sagte ich zu Julius Turnseck, der sich freute, am Telefon, und ließ mir Adresse und Ort beschreiben. Dann schaffte ich es gerade noch, halbwegs normal auf Wiedersehen zu sagen, um danach vor die Tür zu rennen und ganz laut zu brüllen und in die Luft zu springen.
    Ich war tatsächlich schon einmal mit einem älteren Mann ausgegangen. Er war ein Bekannter eines Clubmitglieds und hatte mich bei einer Hausparty, bei der ich servierte, kennengelernt. Erst kam er mit einem Tuch von Hermès an, dann mit Parfüm, und schließlich fragte er meine Mutter, ob er mich denn zum Essen einladen dürfte. Ich war neugierig, nicht mehr. Er holte mich mit dem Auto ab, und wir fuhren zu einem Hotel, in dem er sich ein Zimmer genommen hatte. Er sagte, er wolle nur seine Sachen ablegen und sich kurz frisch machen. Er verschwand im Bad, und ich wartete im Zimmer auf einem Sessel. Er kam nackt aus dem Bad. » Oh«, machte ich, » was gibt das denn?« Er tanzte vor meiner Nase herum, bemerkte meine deutlich hochgezogenen Brauen und sagte » Ach, gar nichts, ich dachte nur, ihr jungen Leute seid doch so frei« und zog sich schnell wieder an. Beim Essen fragte ich ihn nach seinem Beruf, von Literatur hatte er keine Ahnung, und er erzählte ein bisschen, er war Betriebswirt bei einer Kosmetikfirma, und auf dem Heimweg hielt er mitten im Wald und versuchte, mir seine feuchte Zunge in den Mund zu schieben, was ich erfolgreich abwehrte. Als Mama fragte, wie es gewesen sei, sagte ich nur: » Das letzte Mal.«
    Aber das hier, das war etwas anderes. Julius Turnseck hatte meiner ganzen Familie imponiert. Als ich in der Nacht aus Mainz vom Fernsehsender nach Hause gekommen war, hatten Mama, Papa und Opa mich erwartet, mich geherzt, » Wir haben dich gesehen!« gerufen und » Warum seid ihr denn gar nicht drangekommen?«. Und dann hatte ich alles erzählen müssen, jedes einzelne Detail, nicht zu vergessen den Belag der Kanapees. » Du hast doch hoffentlich nicht?«, fragte Mama besorgt, agitiert meinte sie natürlich, ich untertrieb also entsprechend in diesem Teil meines Berichts. Sie waren tief beeindruckt und fanden, dass Julius Turnseck der Intelligenteste von allen gewesen sei. » Und der am besten Aussehende«, fügte Mama hinzu.
    Dass ich Julius Turnseck vor seinem ersten Anruf schon einen Brief geschrieben hatte, hatte ich für mich behalten. Hätte er nicht geantwortet, hätte es niemand gewusst. Und jetzt war ich so aufgeregt, dass ich mich am Nachmittag zu Hause gleich hinsetzte und meinen zweiten Brief schrieb.
    2. März 1982
    Lieber Herr,
    wie ist das so, am Abend, allein in einem Hotel? Sind es in denselben Städten dieselben Zimmer? Tragen Sie gestreifte Pyjamas oder einfarbige? Trinken Sie an der Bar immer etwas, bevor Sie schlafen gehen? Welches Muster haben die Zahnputzbecher? Kennen Sie Tucholskys Gespräche in einer Hotelhalle ? Beobachten sie die Leute beim Frühstück? Oder lesen Sie nur die F. A. Z .?
    Übrigens würde ich, wenn ich nicht gerade Geschäftspapiere lesen müsste, ins Kino gehen. Das Kino ist eine gute Möglichkeit, etwas vom Zeitgeist mitzubekommen. Sie müssten sich doch für die Vorlieben Ihrer Zeitgenossen interessieren – schon von Geschäfts wegen, oder? Mein Lieblingsfilm heißt übrigens Jules und Jim und ist von Truffaut.
    So, und damit Sie eine kleine Abwechslung haben, hier ein Gedicht von Kurt Schwitters, das ist ein Dadaist, es heißt: Ich werde gegangen (1919)
    Ich taumeltürme
    Welkes Windes Blatt
    Häuser Augen Menschen Klippen
    Schmiege Taumel Wind
    Menschen streifen Häuser Klippen
    Taumeltürme buntes Blatt.
    In der Literatur kenne ich mich wohl am besten aus. Sind Sie ein Wassermann? Dann haben Sie sicher Verständnis. Und sonst? Sayonara. Die Ihre.
    Ich beschloss, meinen Freunden in der Bäckerei doch nichts von meiner neuen Bekanntschaft zu erzählen. Ich befürchtete, sie würden Bemerkungen machen, die mir meine neue Bekanntschaft verleiden würden und mir sowieso nichts Neues brächten. Erst mal wollte ich abwarten. Zum

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