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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Wohlbehagen und alles Mögliche in dieser Richtung zum Ausdruck brachten.
    » So viel erzähle ich nie von mir selbst«, sagtest du unvermittelt und sahst mich überrascht an, dein Gesicht überzog ein Anflug von Röte. Ich spürte das Gleiche in meinem Gesicht. Ich war verunsichert, für einen Moment lang. Du hattest nicht den Kragen gelockert, wie manche das tun, aber, wenn man das sagen kann, dein Gesicht. Deine Mimik wurde weicher, deine Gesten freier, deine Hände beschrieben Bögen in der Luft –
    und dann wolltest du alles von mir wissen, wie ich dazu gekommen war, mit zu der Sendung zu fahren, was meine Eltern täten und was ich vorhätte im Leben und wofür ich mich noch interessierte, außer Russland, worüber du aber gelegentlich noch mehr erfahren wolltest –
    » Ich glaube übrigens nicht, dass sich dort jemals etwas ändert«, sagte er entschieden, » das Land ist ein behäbiger Koloss, bürokratisch aufgebläht und unbeweglich, ich habe mich gewundert, dass überhaupt etwas funktioniert.«
    » Das glaube ich nicht«, widersprach ich ebenso entschieden, » ich habe erst kürzlich einen spannenden Film gesehen über Moskau. Es gibt in diesem Jahr erstmals eine Rockoper. Eine Liebesgeschichte, mit Ballett, das war allerdings ultrakomisch zu der Musik. Na ja, das, was sie Rock nannten, klang auch noch ein bisschen volksliedhaft, aber trotzdem. Die Jugendlichen wollen das alles, wie wir. Rockmusik, Filme, Mode. Die jungen Russinnen stehen übrigens auf Lidstrich, hier ist das ja ein bisschen aus der Mode. Sie werden sehen. Da passiert noch was. Die Leute lesen mehr als hier, hier geht es ja kulturell eher den Bach runter.«
    Julius Turnseck sah mich verdutzt an.
    » Aber was sagen Sie denn da? Uns geht es doch blendend! Es ist noch nie so viel Geld für Kultur ausgegeben worden!«
    » Ja, schon, aber sehen Sie mal, Leute wie meine Eltern, die haben nie Zeit für Kultur, die arbeiten immer nur, und die Zahlen der verkauften Bücher gehen auch runter.«
    Wir bissen uns eine Weile fest. Er nannte mich eine Kulturpessimistin, was ich zurückwies, und mir wurde deutlich, wie weit entfernt von mir der Planet war, auf dem Julius Turnseck lebte. Das Gespräch wurde fast ein bisschen angespannt, aber dann fing es sich wieder. Er stellte mir lauter » große« Fragen. Was will die deutsche Jugend? Was glauben Sie, ist die wichtigste Investition in die Zukunft? Was würde der Club of Rome empfehlen? Sind sie Marxistin? Und so fort. Alles die Sorte Fragen, die mich eher mundtot machen, weil sie mir zu abstrakt sind. Also schwenkte ich einfach um und erzählte von unserem letzten Besuch bei meinen Großeltern in der DDR , in den vergangenen Winterferien, vom Kopfsteinpflaster und der Mühle, von meinem Onkel, dem Reiseschriftsteller, von den Abmesstüllen auf den Flaschen, damit man korrekt einschenkt und abrechnet, und von den Preisen auf den Pfennig genau, 1 Mark 37 zum Beispiel, für ein Bier und einen Schnaps. Ich sprach von der Zeitschrift Sputnik, die meine Tante mir gezeigt hatte, die eigentlich von der Sowjetunion herausgegeben wurde, aber unübersehbar kritischer wurde, und von der verhaltenen Stimmung dort überhaupt.
    Er hörte konzentriert zu, dabei zog er seine Mundwinkel nach unten. Er stützte sein Kinn auf die ineinander verschränkten Hände und sah mich die ganze Zeit ohne ein einziges Mal beiseite zu blicken an. Er nickte, verzog das Gesicht oder den Mund, er schmunzelte oder stellte eine kurze sachliche Zwischenfrage. Ich merkte, dass es ihn interessierte; er nahm alles sehr genau auf und hakte nach.
    » Wie stehen Sie denn zur deutschen Wiedervereinigung?«
    » Ich bin damit groß geworden.«
    Wir waren mittlerweile beim Nachtisch angekommen. Eis mit heißen Himbeeren. Ich esse auch nicht gern Süßes, aber ich wollte in kulinarischer Hinsicht nicht völlig kapriziös erscheinen und löffelte ein bisschen davon.
    » Mh«, machte er, » aber was heißt das? Die Wiedervereinigung Deutschlands ist doch ein im Grundgesetz verankertes Staatsziel.«
    Das Thema lag in der Luft. Gerade war der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine von Erich Honecker empfangen worden. Das war ein Novum und wurde als Annäherung bewertet. Andererseits herrschte » ein Land weiter«, in Polen, Kriegsrecht, man konnte noch nicht absehen, wie sich das auf die deutsch-deutschen Beziehungen auswirken würde.
    » Ich will nur sagen«, versuchte ich es vermittelnd, weil ich spürte, dass ihn meine Haltung befremdete,

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