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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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damit Seifenkistenrennen fahren. Er lachte schön, wie ein übermütiger Junge. Zwei oder drei Mal streckte er den Arm vor und legte die Hand auf ihre. Sie kippte ein Glas um, und er fing es auf.
    An der Bar später bestellte er einen Whisky Sour mit Eis.
    » Und ich ein Perrier mit Wasser, bitte!«
    » Sie sind wirklich süß«, sagte er. » Sie haben einen Schwips ganz ohne Alkohol. Darf ich Sie wiedersehen?«
    » Natürlich«, sagte ich, » keine Frage.«
    Ich musste auch langsam los, die letzte S-Bahn fuhr. Ich musste am nächsten Tag in die Schule, meine Eltern würden sich Sorgen machen, wo ich bliebe, und der Weg war noch weit. Fieser Sprühregen fiel, als wir vor dem Hotel standen, vor dem mehrere Taxis warteten. Ich zog meinen Gürtel enger; der Trenchcoat war nicht sehr warm.
    » Ich kann Ihnen doch ein Taxi nach Hause bezahlen«, sagte Julius Turnseck und legte kurz seinen Arm um meine Schultern.
    » Das ist freundlich, aber Papas Auto steht am Bahnhof, und er braucht es morgen früh.«
    » Na gut, dann müssen Sie aber eins bis zum Bahnhof nehmen.«
    » Zum Bahnhof in Frankfurt, ja. Dann fahre ich lieber S-Bahn.« Ich wollte mit niemandem sprechen und hätte es unhöflich gefunden, mit dem Taxifahrer auf einer so langen Fahrt nicht zu reden. Julius Turnseck kramte in seiner Hosentasche und drückte mir Geld in die Hand. Ich schob die Hand zurück, er insistierte.
    » Erlauben Sie mir doch wenigstens, das Taxi und die S-Bahn zu bezahlen.«
    So ist das, wenn man mit einem Kind ausgeht, dachte ich. Er lächelte.
    » Ich würde Sie am liebsten morgen mit nach Kanada nehmen«, sagte er.
    » Ich muss Abitur machen, sonst würde ich mich in Ihrem Koffer verstecken und mitfahren!«
    » Wirklich?«
    » Na klar!«
    » Darf ich anrufen, wenn ich wieder da bin?«
    Warum fragte er überhaupt?! Plötzlich wurde ich ganz übermütig, dachte nur immer: wie sehr ich leben will und wohin der ganze Mangel an Fantasie hinführt bei den Menschen und wie blöde es ist, sich etwas zu vergeben, mit anderen, davon habe ich noch nie etwas gehalten, und ich strahlte ihn unvermittelt an und sagte, wie schön ich es mit ihm fand.
    » Ich habe Sie wirklich sehr gern«, sagte er und küsste meine Hand.
    4
    Ich springe hinein und schwimme los, und wenn ich erschöpft bin, liege ich am Beckenrand und denke nach. Ich bin ein Wiederkäuer von Stimmungen und Situationen, seit ich denken kann.
    Es fiel mir schwer, mich loszureißen. Es fiel mir schwer, mich in die ungemütliche, fast leere, grell beleuchtete S-Bahn zu setzen und von Frankfurt am Main nach Bad Wildbad zu fahren. Ich war aufgeregt und zugleich so müde, dass mein Kopf immer wieder gegen die Scheibe fiel. Ich sah seine Hände, die viel gepflegter waren als meine, wohlgerundete und gefeilte Fingernägel, glatte Haut mit geringen Anzeichen des Älterwerdens. Meine Pfoten waren immer ein bisschen rau von der Küchenarbeit, und unter den Nägeln und an den Fingerkuppen hatten Obstsäure und Gemüsefarben sich trotz des täglichen Schrubbens mit dem Bürstchen eingegraben. Ich hatte für gewöhnlich keine Angst vor dieser Art der Entblößung, doch an diesem Abend hatte ich manchmal die Hände verstohlen an meinen Körper gezogen. Einmal, ganz überraschend, hatte er meine Hand genommen und geküsst.
    Er war genauso ungeduldig wie ich, wenn jemand ihn nicht verstand oder etwas, das ihn beschäftigte. Wie oft musste ich mir sonst auf die Zunge beißen, wenn ich das Gefühl hatte, dass dem anderen etwas gleichgültig war, das mich in innere Turbulenzen warf, das mich umtrieb, wie Literatur, Theater, Musik, Bilder? Wie oft musste ich mir in der Schule den Vorwurf anhören, arrogant zu sein, weil ich mich so leidenschaftlich verritt, mich hineinsteigerte in Diskussionen über Formulierungen, die trafen oder nicht, Sätze, die das, was wir lasen, richtig wiedergaben oder nicht. Ich hätte schreien können vor Wut, wenn jemand von Kafka nichts wissen wollte oder einen dummen Satz über ihn sagte, und ich schrie manchmal wirklich, mit hochrotem Kopf und in wüsten Kaskaden. Es war entsetzlich. Ich hatte immerzu das Gefühl, verteidigen zu müssen, was ich liebte.
    Jetzt lernte ich einen Mann kennen, der geradezu unheimlich präzise war, in seinen Worten und Gedanken. Ich musste mich vor ihm nicht verstecken, ganz im Gegenteil, er forderte mich zu intellektueller Geschwindigkeit geradezu heraus. Ich konnte es nicht fassen, dass er mich wiedersehen wollte.
    Ich fing in der S-Bahn an zu

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