Der Tag ist hell, ich schreibe dir
können, um ihre Tränen zu verbergen. Sie hasste alles, was sie sah, das grüne Gras, den blauen Himmel, die doofen Berge und die noch dooferen jungen Männer, und in diesem Hass begriff sie, was sie sah, dass nämlich Herr Professor Raabe ausnahmslos junge Männer um sich scharte, von ihr einmal abgesehen, die ihn bewunderten und die sich einig waren, in was auch immer, und es fiel ihr wie Schuppen von den Augen, dass Herr Professor Raabe sich gefahrlos gehen lassen konnte, dem blonden Hajo vollkommen verzückt und entrückt mit großen blauen Kuhaugen verliebte Blicke zuzuwerfen und sicher sein konnte, dass alle diese jungen Männer ihn niemals verraten würden, denn alle diese jungen Männer zielten auf eine sehr gute Note, einen hervorragenden Abschluss und eine schöne Stelle am philosophischen Institut und dachten nicht im Traum daran, all diese Lebensziele in irgendeiner Weise zu gefährden.
» Gott, wie bin ich blöd«, dachte Helen, und eine regenbogenfarbene Seifenblase zerplatzte, » ich habe ja überhaupt nichts begriffen! Ich bin das Alibimädchen für Herrn Professor! Aber nun ist Schluss mit Alibi, nun hat er mich weitergereicht, zu dem Herrn Doktor Sedlitzky.«
Der Herr Doktor wiederum war es, der sie einige Monate später, als Helen vor ihm her auf der Straße lief, einholte und lachend sagte: » Jetzt weiß ich, was der liebe Adalbert an Ihnen gefunden hat! Ihre Hüften sind so schmal wie die eines Jungen!« Und er hatte ein anzüglich meckerndes Lachen ausgestoßen, von dem es Helen ganz anders wurde.
Julius Turnseck schmunzelte ein wenig über diese zweite Desillusionierung, von der Helen ihm berichtete, obwohl er sie auch ein wenig bedauerte. Die Philosophie war so wenig frei von geheimen Lüsten und Nützlichkeitsdenken wie jede andere Disziplin. » Aber dass er seine Neigungen so verbergen muss«, sagte Helen, » ist doch zu traurig.«
Doch Helen war jung und ihr Glaube fest. Hoffnungsvoll wandte sie sich Herrn Doktor Sedlitzky zu, in dessen Seminar sie saß und für dessen grazile, gepflegte Hände sie durchaus ein Auge hatte. Gut geschnitten waren seine Jacketts aus Wollstoff, konservativ und doch mit Pfiff; charmant und zugleich von vornehmer Zurückhaltung war sein Lächeln, oder besser der Anflug eines überlegenen Lächelns. Zum absoluten Herzensbrecher aber machte ihn seine schimmernde, je nach dramaturgischem Bedarf flüsternde oder volltönende Stimme. Doktor Sedlitzky war die perfekte Vermählung von Geist und Schönheit, so sahen es die Studentinnen, die sich in seinen Seminaren drängten, und unversehens beneidet und gehasst waren Helen und Sabrina, die sich seine Hilfskraftstelle nach den kommenden Sommersemesterferien teilen sollten. Sabrina, die bereits von ihm Auserwählte, und Helen, die zu ihm Abgeschobene. Argwöhnisch beschnüffelten sie sich wie zwei fremde Katzen und teilten nach unsichtbaren Regeln das Revier auf. Doch bald entdeckten sie ähnliche Neigungen und eine tiefe innere Übereinstimmung trotz sehr verschiedenen Temperaments. Sie entwickelten eine Zuneigung, die geschwisterlich und unverbrüchlich war, von einer schwesterlichen Konkurrenz durchzogen, die die schönste Voraussetzung bot für die Ausnutzung ihrer jugendlichen Hingabe. Beide wären gern die Einzige gewesen, doch beide waren froh, nicht allein zu sein, und so sah man sie bald täglich zusammen durch die Straßen spazieren oder in einem Café sitzen, die Köpfe zusammengesteckt.
7 Lebenspläne, eine Dodereske
Kurze Zeit nach dem Almwochenende im Juni lud Professor Raabe Helen zu ihrer Überraschung zum Mittagessen ein. Sie trafen sich in einem italienischen Restaurant, in dem um diese Zeit nicht allzu viel los war, und natürlich fiel es Helen schwer, auch nur einen Happen zu essen. Misstrauisch hielt sie sich in Habachtstellung. Professor Raabe plauderte über das Leben im Allgemeinen und seine Lebenswünsche im Besonderen, und Helen fragte sich, worauf dies alles hinauslaufen würde, doch bald vergaß sie es und lauschte mit immer größer werdenden Ohren. Nach zwei Gläsern Weißwein, vielleicht waren es auch drei, vertraute er Helen an, im Grunde seines Herzens einen Roman schreiben zu wollen, einen, der alles Philosophische mit einbeziehe und der Nietzscheanischen Maxime Entsprechung leiste, dass die Kunst die höchste Form der Erkenntnis sei. Professor Raabes Turm von Babel, ein riesiges Sprachwerk, wuchs mit dem nächsten Glas Weißwein in schwindelnde Höhen, und sein Vorbild, Heimito
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