Der Tag ist hell, ich schreibe dir
damit wir Schönes im Schönen zeugen können! Ich umarme Sie und freue mich auf unser nächstes, hoffentlich etwas längeres Beisammensein,
Ihre Helen, genannt Lilja
12 Weihnachtsfeier
Einige Monate nach der Tagung ohne den Bankier versammelte sich das philosophische Institut zur Weihnachtsfeier bei Professor Professor Weberknecht. Bei diesem nachmittäglichen Beisammensein bei Kaffee und Kuchen wurde hinter der kaum mehr vorgehaltenen Hand über eine mögliche Berufung eines der Philosophen an den neuen Lehrstuhl im Ruhrgebiet getuschelt, die sich deswegen nun schon gegenseitig auf die Füße trampelten. Professor Raabe zog enger werdende Kreise um Helen herum, Herr Dr. Sedlitzky nickte ihr zu. Die Tassen mit Kaffee und Tee klapperten, Lehrer und Schüler plauderten, der Raum war erfüllt von dunklen Stimmen, denn Fräulein Leontine, Sabrina und Helen waren die einzigen Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts. Helen war recht vergnügt, bis sich Herr Professor Professor Weberknecht vor ihr aufbaute, ein, zwei Sätze über das Wetter äußerte und dann unvermittelt fragte: » Sie sind also, ähem, Sie sind also eine Verwandte von Herrn Turnseck?«
Er sprach es so aus, als hätte er am liebsten Herr von Turnseck gesagt. Helen sah ihn überrascht an, was sollte das, dachte sie, sie hatten das Problem doch im Sommer schon geklärt.
» Nein«, sagte sie, etwas mürrisch, » nein, wir sind nicht verwandt. Wir sind befreundet.«
Offenbar hielt der Professor eine Liebesaffäre zwischen ihnen für möglich, nicht aber eine Freundschaft, so viel jedenfalls sagte sein Blick. Helen sah ihm so kühl und gerade in die Augen wie möglich.
» Ah so«, sagte Herr Professor Professor Weberknecht und legte die Stirn in ihre papiernen Falten, » interessant. Sicher sind Ihre Eltern mit ihm bekannt?«
Helen musste wider Willen kichern. » Nee«, sagte sie, » unsere Eltern sind nicht bekannt.«
» Nun ja«, wischte Herr Professor Professor Weberknecht eine unsichtbare Fliege aus der Luft, » ich werde Herrn Turnseck nun endlich auch persönlich treffen, in den Ferien. Er hat nämlich, wie Sie sicher wissen, ein Häuschen in den Bergen, zufällig ganz in der Nähe des Ortes, in den auch wir zu fahren pflegen. Wir haben bisher ja nur das Vergnügen einiger Telefonate gehabt. Er ist ein sehr gebildeter und kluger Mann, ganz erstaunlich, wirklich, er kennt sich ja weit über sein Metier hinaus aus. Ich werde dann auch seine Frau sehen, die Sie sicherlich auch kennen, nicht wahr?«
Helen hätte Herrn Professor Professor Weberknecht gern den Käsekuchen ins Gesicht geklatscht, den sie selbst gebacken und für die Weihnachtsfeier gestiftet hatte und von dem ein Stück unberührt auf ihrem eigenen Teller, den sie in der Hand hielt, lag. Sie sah sich plötzlich mit dem Servierschürzchen und dem Silbertablett voll Kanapees im Golf Club stehen und hatte Mamas » aber nicht agitieren, Helen!« im Ohr, und wie damals tauchte Mata Hari vor ihrem inneren Auge auf und nickte ihr streng und ermunternd zu, bleib kühl, Mädchen, nur dass Mata Hari nicht ihre knappe Bekleidung vom Tanze her trug, mit glitzernden Pailletten, sondern plötzlich ein prachtvolles Kleid à la Pompadour, mit weit ausladenden Röcken, Hunderten von Rüschen und einem weiß gepuderten Dekolleté.
» Herr Turnseck hat ein sehr großes Interesse an der Philosophie«, sagte Helen mit gespielter Gelassenheit, » und er lässt sich immer von mir referieren, was wir in Ihrem Seminar erörtern. Wie Sie ja sicher wissen, ist er ein großer Anhänger von Sir Karl Popper, doch er hat durchaus eine gewisse Grundaufgeschlossenheit gegenüber Fragen der Metaphysik. Sie werden einander gewiss viel zu erzählen haben. Und nun entschuldigen Sie mich bitte!«
Helen lächelte wie damals, wenn sie sagte, diese hier sind mit Gänseleberpastete, stellte ihren Teller ab und rettete sich hinaus auf den Gang. Ich hasse ihn, dachte sie, ich hasse sie alle, und dann beschloss sie, nicht zu der dämlichen Feier zurückzukehren, sondern rannte durch den bläulich werdenden Spätnachmittag auf direktem Weg zu Madame Pompadour.
13 Madame Pompadour
Madame Pompadour wohnte, nicht weit von der Universität entfernt, in der Alten Pinakothek. Helen kannte das klassizistische Gebäude aus hellem, großem Stein gut. Es beherbergte die große europäische Malerei bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Der Architekt Leo von Klenze hatte es in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gebaut, und
Weitere Kostenlose Bücher