Der Tag ist hell, ich schreibe dir
ist unbezähmbar, oder wie Sappho sagt, ein bittersüßes Tier. Die tiefe Erschütterung, von der Platon spricht, die manía, steht wohl nicht umsonst als Grunderfahrung neben der des Todes. Ein bester Freund ist da wohl wie ein Schutz? Oder nicht? Es zieht mich zu Männern und Frauen, und ich bin immerzu verwirrt.
Sind Sie mein Freund? Was sagen Sie?
Es grüßt Sie: Ihre Helen
Und dann, auf einfachem, liniertem Arbeitspapier, in einfachem, weißem Umschlag.
Mein lieber Freund,
Herr Dr. Sedlitzky meinte, ich sei in Sie verliebt. Er neckt mich immer wieder damit, es geht mir auf die Nerven. Und dann kam heute noch die blöde Frage hinterher: Ist Herr Turnseck ein attraktiver Mann? Gefolgt von einem süffisanten Lächeln, und er hat mit seiner zierlich gebauten Nase sonderbar geschnuffelt, ih!
Das ist er zwar (also Sie, attraktiv), aber das zielt doch wieder in eine ganz falsche Richtung. Ich will ja keinen auseinanderzerren, aber es gibt doch so viele Beziehungen zu den verschiedenen » Teilen« eines Menschen. Vanitas befällt schneller den Körper; Schönheit freut die Seele, doch nur die innere, die im schönsten Fall nach außen dringt, dauert. Was zieht zur Dauer? Ich weiß es nicht.
Dr. Sedlitzky sagt, er sei einsam, und sieht mich dabei ganz sonderbar an. Dabei laufen ihm die Frauen scharenweise hinterher, da muss man fein die Balance wahren.
Wohin soll das alles noch führen, sagen Sie mir? Warum können Sie nicht hier sein?
Das fragt Sie: Ihre Helen.
PS : Eigentlich glaube ich, dass ich die Seele eines Menschen lieben möchte.
Auf festes weißes Papier geschrieben, zwei Blätter, beidseitig, mit dem Füller, Tinte blauschwarz:
München, 24. Juni 1985
Heute finde ich keine passende Anrede für Sie, lieber Herr. Nach unserem gestrigen Treffen war ich wieder so traurig, ich kann es gar nicht sagen. Es war vielleicht und hoffentlich jene Art von Traurigkeit, die zur Besinnung führt, zur Frage nach der eigenen Konsequenz und Wahrhaftigkeit. Letzteres Wort musste mir auch gleich heute Morgen wieder begegnen, als ich mit Kopfschmerzen an die Uni ging, sicher wegen des Föhns, in ein Seminar, das ich als Gast besuche, über Christa Wolf. Fast hätte ich vergessen hinzugehen, weil ich mich so zerschmettert fühlte. Dieser radikale Ernst der Frauenfiguren in ihrem Werk rührt mich an. Sie bringen mich ganz durcheinander, zwingen mich, aus meinem » Gewohnten« (leider gibt’s das gar nicht, daher auch der Mangel an System, den Sie bei mir beklagen, auch wenn Sie es nicht mehr so oft ansprechen) auszutreten.
Sie haben vollkommen recht, ich vernachlässige mein eigenes Studium.
Manchmal bin ich so durcheinander, dass ich daran zweifle zu wissen, was gut für mich ist, und vor allem, was Liebe ist. Ich war verliebt in Anders, aber liebe ich ihn? Liebe ich ihn so, dass ich in schlechten Zeiten zu ihm halte? Ist das gut für ihn oder schlecht? Und für mich? Ich kriege in letzter Zeit andauernd Kopfschmerzen, und ich glaube, es liegt nicht nur am Föhn. Ich bin so ehrlich wie ich kann, und da muss ich sagen: Ich glaube an kein Immer. » Die Nacktheit des Weibes lehrt uns Geduld.« Wo hab ich das nun wieder her? Schopenhauer? Nietzsche?
Und dann – während wir sprachen – war da etwas ganz anders als sonst. Zum ersten Mal wirkten Sie müde, verletzbar, und ich war versucht, Ihnen über Ihre Fältchen an den Augen zu streichen. Zugleich umgab Sie eine Aura von Unnahbarkeit, die zu durchbrechen ich zu schüchtern war.
Es gibt wohl solche Augenblicke, sagt Schopenhauer, in denen man wie die Sterne in einem » feinen Menuett miteinander tanzen« soll, ohne dass es » zur plumpen Berührung« kommt (er ist manchmal so böse!). Er sagt dies von der Freundschaft, dem hehren Ideal der Griechen und Nietzsches, dem pädagogischen und freundschaftlichen Eros, der dazu führt, dass wir » im Schönen miteinander zeugen«, wobei Platon die geistigen Kinder, die wir dann gemeinsam großziehen und pflegen, für bedeutender hält als die » leiblichen«. Was ich davon halte, können Sie sich ja denken. Das liegt nur daran, dass sich die Philosophen so schlampert um die Kinder kümmern, denken Sie nur an Rousseau. Man kann es ja auch freundlicher fassen und die leiblichen Kinder als geistigen Auftrag verstehen –
Popper mit seinem Pragmatismus scheint mir zu vieles auszulassen, was den Menschen ausmacht. Wir sind nun mal keine besonders logischen Wesen, oder? Verschwinden Sie mir nicht zu schnell aus meinem Leben,
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