Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
Vom Netzwerk:
Treppe heruntergekommen wäre, in Frankfurt im Hotel, als sie sich zum ersten Mal getroffen hatten. Anders zeigte seine Fachkenntnisse und fragte Helen nach allen möglichen Details des Abschlusses und wen Herr Turnseck in München treffen würde, und Helen musste gestehen, dass sie darüber gar nicht gesprochen hatten. Sabrina war zurückhaltend und wollte nicht in die Freundin dringen, worüber sie sich denn unterhalten hätten und wie lange er da gewesen sei und ob ihm der Kuchen geschmeckt habe und ob er wirklich nur die Hälfte des Stückchens gegessen habe und alles Mögliche andere noch, und Helen war erleichtert und sagte nur, er habe die Wohnung sehr schön gefunden und dann habe er, weil er wusste, dass sie nun zu dritt dort wohnten, gefragt,
    » Schlafen Sie denn nun alle drei zusammen in dem großen Bett?«, und er habe versucht, ein möglichst ungerührtes Gesicht zu machen.
    Daraufhin befiel die drei ein Heiterkeitsausbruch, sie lachten und prusteten und konnten sich so schnell gar nicht beruhigen.

Zweiter Teil
    III.
    Mehr als eine Handvoll Briefe

Kann man ein unscharfes Bild immer durch ein scharfes ersetzen? Ist das unscharfe Bild nicht oft gerade das, was wir brauchen? Ludwig Wittgenstein
    1
    » Willst du nicht bei mir bleiben?«
    Ich weiß nicht mehr, wann du wirklich zum ersten Mal du gesagt hast und ich dich beim Vornamen genannt habe. Ob es bei jenem Frühstücksbesuch gewesen ist, oder früher, oder bei einem der Treffen im Hotel Vier Jahreszeiten oder im Bayerischen Hof. Wie viele Male hatten wir uns getroffen? Hotelrestaurants sind keine so abwechslungsreichen Orte, mit ihnen verbindet sich kein Ereignis, von dem man später sagen könnte: Weißt du noch, wie wir dort gezeltet haben? Wie uns die Mücken zerbissen haben? Weißt du noch, als wir da aus dem Kino kamen, und die ganze Stadt war plötzlich weiß?
    Ich suche eine Gedächtnisstütze in den verschiedenen Wohnungen, in denen ich gewohnt habe, in den Jahreszeiten, Ereignissen in der Politik, Notizbüchern aus meinem Studium. Gesprächsfetzen tauchen auf, Bilder von Fahrten in deiner Limousine, die mir vertrauter wurden und ihre Fremdheit doch behielten, über die Autobahn von der Münchner City zum Flughafen, wenn ich dich manchmal begleitete, um etwas mehr Zeit zusammen zu gewinnen. Die Sicht auf die Alpen, glasklar, das leise Rollen, bei dem die Außenwelt weit fort schien; selbst die Bewegungen im abgefederten Wagen waren sanft und unwirklich. Die Erinnerung an den Wunsch, sich dort auf der Rückbank einfach an dich zu lehnen, den etwas rauen Wollstoff deines Anzugs an meiner Wange zu spüren wie den aufgeriebenen Cordbezug des alten Sofas im Kabuff hinter der Küche, auf dem ich als Kind meinen Mittagsschlaf hatte halten sollen und bei dem ich doch immer nur gelauscht hatte, auf den regelmäßig anspringenden Motor der Kühltruhe, das Klappern des Geschirrs, die Stimme meiner Mutter, die meinem Vater zurief, wenn er die fertigen Teller oder etwas aus dem Keller holen sollte. Die Geräusche der schweren Töpfe, die sie über den alten niedrigen Herd mit der Eisenplatte zog, das Rauschen und Blubbern von Kochendem und Siedendem. Die Beobachtung, dass Herr Lippens manchmal, ohne ein Wort zu sagen, die Glasscheibe zum Fond hochfahren ließ, und wie wir, Helen und Julius, nebeneinander schwiegen und sich in mir eine kindliche Sehnsucht mit einer körperlichen auf verwirrende Weise verband.
    Helen hörte nur mit halbem Ohr zu, die Wärme seiner Hand strömte in ihre. Sie schloss die Augen und stellte sich vor, mit ihm Hand in Hand zu laufen, durch eine Werfthalle oder ein Fabrikgelände oder etwas Ähnliches, und plötzlich gab es da einen Ausblick aufs Meer, und das Meer war eine unendliche Fläche, und sie hörte sich sagen: Sieh mal, wie blau das Meer ist! Sie öffnete die Augen wieder und sah Julius an. Sein Profil war von der hohen, geraden Stirn bestimmt, die Nase wirkte schärfer geschnitten als von vorn, die Flügel sehr fest, der Mund leicht nach unten gezogen. Er saß aufrecht, die Schultern zurückgenommen, die Beine locker aufgesetzt. Sie antwortete der Hand, die ihre hielt, mit einem leichten Druck. Sie wäre gern mit den Fingern oder der Handinnenfläche über sein Profil gefahren. Seit gestern Abend hatte sie diesen Wunsch, und seit gestern Abend unterdrückte sie ihn. Eine unerklärliche Scheu war da, anders als in ihren Worten, in denen sie sich nie, oder selten, zurücknahm. Die Worte sprudelten ihm gegenüber für

Weitere Kostenlose Bücher