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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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und sie zeigte Helen die Spuren, die dieser Vampir hinterlassen hatte. Die beiden Mädchen, deren Fähigkeiten sich also auf einander komplementären Gebieten ergänzten, beschlossen, sich nicht mehr von Herrn Doktor Sedlitzky ausnehmen und gegeneinander ausspielen zu lassen. Sie würden sich künftig alles erzählen und in der Abwehr von Überstunden gegenseitig bestärken. Sie begannen, nicht nur die raffinierten Winkelzüge ihres Brotherrn am Institut zu analysieren, der hinter dem Rücken von Professor Weberknecht seinen Abzug plante, sondern auch die Dinge, die er sagte und schrieb.
    Nun, in der Zeit leicht versetzt, will sagen, eigentlich ein bisschen zu spät, fragte Julius Turnseck, der die Umtriebe seiner lieben Briefeschreiberin eine gewisse Zeit beobachtet hatte, über die sie ihm postalisch und fernmündlich wie immer ungeniert Aufschluss gab, einiges jedoch auffallend zu verschweigen schien, am Telefon: » Sind Sie etwa in Herrn Doktor Sedlitzky verliebt? Wollen Sie vielleicht deshalb nicht mit ihm mitkommen? Haben Sie Befürchtungen, Ihre Unabhängigkeit zu verlieren?«
    » Aber nein!«, versicherte Helen wie aus der Pistole geschossen. » Auf gar keinen Fall!« Doch Julius Turnseck setzte nach: » Auch kein ganz kleines bisschen?«
    Helen, die das Gefühl hatte, am ganzen Körper knallrot anzulaufen, konnte, so direkt gefragt, nicht lügen. Julius Turnseck gegenüber schon gar nicht. Sie brummte ein wenig vor sich hin, er sagte noch einmal » nun? Immer raus mit der Sprache!«, und sie gestand schließlich, dass sie sich eine Weile wohl durchaus angezogen gefühlt hätte (Vergangenheit!), von seinen lebhaften kleinen Jettaugen hinter den Brillengläsern des Intellektuellen, dass sie ihm aber auf die Schliche gekommen sei und dass er im Grunde ein Feigling, vollkommen unmusikalisch und in erotischer Hinsicht ebenso indiskutabel sei. Dass er die Mädchen reihenweise um den Finger wickle, sie ausnutze und dass sie inzwischen schon den Verdacht habe, er könne gar nicht oder wolle gar nichts vom weiblichen Geschlecht. Hinter allem geistigen Gewese und charmantem Getue, so schloss sie, verberge sich doch eine rechte Kaltnatur.
    Julius Turnseck, der beim Wörtchen » unmusikalisch« aufgelacht hatte, atmete hörbar ein und meldete sich zum Frühstück bei ihr an. » In drei Tagen«, sagte er, » mit der allerersten Maschine, also um acht, bin ich da!«
    Helen ahnte, dass es ernst wurde. Dass sie nun mit ihrer Entscheidung würde herausrücken müssen. Sie bat Anders und Sabrina, an diesem Morgen zu verschwinden. Die gesamte Wohngemeinschaft befiel helle Aufregung. Anders und Sabrina sagten na klar, versteht sich, und zu dritt putzten sie am Abend vor dem Besuch die Wohnung und verstauten die vielen Dinge so gut sie konnten, während Helen in der winzigen Küche, die eigentlich nur eine Nische war, aber immerhin mit Herd, einen Käsekuchen buk, dessen Reste sie den anderen beiden natürlich versprach, » er isst sowieso nur ein halbes Stückchen«. Sie stellten den Wecker auf sechs Uhr, standen flugs auf, stopften das Bettzeug, das sonst auf der Matratze liegen blieb, in Sabrinas Truhe, und packten die Matratze auf Helens Bett, das nun aussah wie ein Thron. Es ließ sich schwer sagen, wer hibbeliger war, Helen oder die beiden.
    Später erzählten Sabrina und Anders, wie sie um die Ecke des Hauses (es war ein Eckhaus) auf die schwarze Limousine gewartet hatten, weil sie es unbedingt hatten sehen wollen, wie Herr Lippens, von dem ihnen Helen erzählt hatte, ausstieg, um den Wagen herumging und seinem Chef auf der anderen Seite die Tür öffnete. Sie wollten sehen, wie der Bankier in seinem auf Taille geschneiderten Anzug ausstieg, von Herrn Lippens den eingewickelten Blumenstrauß in Empfang nahm und dann auf ihr Haus zuging, auf den Klingelknopf drückte und darin verschwand, um die Treppen hinaufzugehen zu ihrer Freundin Helen, die oben in der Wohnung wie ein aufgescheuchtes Huhn herumrannte und sich freute. Sie erzählten Helen später, wie sie die Köpfe um die Ecke gereckt und buchstäblich die Hälse lang gemacht hätten, um ihn aus der Nähe zu sehen, Julius Turnseck, der soeben einen außerordentlichen Geschäftsabschluss mit einer großen Firma gemacht hatte, über den die Tageszeitungen in aller Ausführlichkeit berichtet hatten. » Er sieht ja aus wie Alain Delon!«, sagte Anders, und Sabrina stimmte zu, » unbedingt«, und Helen lachte, so etwas Ähnliches hätte sie auch gedacht, als er die große

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