Der Tag ist hell, ich schreibe dir
Intrigen am philosophischen Institut und ihre Pläne für die Zukunft. Herr Doktor Sedlitzky rief nun noch öfter an als bisher und verlangte im Wechsel Sabrina und Helen zu sprechen. Während die eine am Hörer nickte, machte die andere wilde Zeichen, etwas abzuwehren, etwas zu fragen, etwas sein zu lassen, und hinterher lachten sie so laut, dass die Nachbarn von unten gegen die Decke klopften, denn es war ja, wie üblich für Herrn Dr. Sedlitzy, weit nach Mitternacht.
Anders schlief zuerst noch an Helens Seite in ihrem großen Bett, das sie sich neu gekauft hatte. Doch eines Tages sagte er » ich geh dann mal rüber« und legte sich neben Sabrina, wobei es dann auch blieb, auch wenn ihre Matratze schmaler war. Im Grunde war es eine kostengünstige Lösung. Die Telefonate mit Julius Turnseck fanden in irgendwelchen zeitlichen Zwischenräumen statt – oder im Bad bei geschlossener Tür.
Herr Dr. Sedlitzky, der spürte, dass sich Widerstände gegen ihn zusammenbrauten, hatte Sabrina schon ein paar Mal zum Essen in ein feines Restaurant eingeladen, während er mit Helen lieber in den Biergarten ging, was eigentlich auch nicht gerade einer Madame Pompadour entsprach, sonder eher einer Jeanne vom Fisch. Helen beschwerte sich darüber, und nun sollte es zur Aussöhnung in die Oper gehen. » Aber Sie kümmern sich bitte darum, Helen, ja?«
Hocherfreut besorgte Helen die Karten, lieh sich von Antje-Doreen eine kurze Lederjacke zum neuen schwarzen Glockenrock aus und saß dann, nach großer Freude und Aufregung, einigermaßen zusammengefältelt und eingeschüchtert neben Herrn Doktor Sedlitzky in der Oper. Sie hatte nämlich übersehen, dass die Oper, die sie hörten, konzertant aufgeführt wurde. Keine Bühne, keine Kostüme, kein Spiel. Herr Doktor Sedlitzky war mehr als empört, seine Oberlippe wurde steif, vor allem angesichts des Preises, um den Helen sich auch nicht weiter gekümmert hatte, da es an dem von ihm angegebenen Datum kaum noch freie Plätze gegeben hatte. Helen hatte vor allem das Wort Norma gelesen und sich gefreut, denn sie hatte diese Oper von Bellini bei der Renovierung ihrer neuen Wohnung rauf und runtergehört. Doktor Sedlitzky hingegen schnaufte vor Zorn und zeigte sich alles andere als gut erzogen. Noch in der Pause beschimpfte er sie so heftig, dass Helen entsetzt begriff: Er war vollkommen unmusikalisch, ja, schlimmer noch, er war vollkommen amusisch! Denn das, was sie gehört hatten, war eine große, ergreifende Darbietung gewesen, und nicht umsonst hatte das Publikum anhaltend applaudiert.
Erst nach der Oper, beim dritten Hefeweizen im Franziskaner, löste sich Dr. Sedlitzkys Groll. Er redete über Gott und die Welt und fragte Helen schließlich, die bei aller Freude über die Musik eine gewisse Anspannung nicht hatte ablegen können, ob sie nicht auf einen Versöhnungsschluck in seine Wohnung mitkommen wolle. Ja, er begann sogar heftig mit ihr zu flirten, und Helen, erleichtert nach dem ganzen Debakel, und gekränkt trotzig zugleich, ließ sich darauf ein. Sie landeten auf Herrn Doktor Sedlitzkys Sofa, und er machte deutliche Zeichen, sich bei Helen einen Nachtisch abzuholen, doch Helen, die freigebig, aber nicht bescheuert war, fragte unter dem im Jackett leicht verschwitzten Mann, der sie in die Ecke des Möbels zu drängen versuchte, hervor: » Aber warum versuchen Sie denn nicht, mich erst einmal zu küssen?«
Herr Doktor Sedlitzky hob seinen blöden roten Kopf und sagte: » Aber ich küsse doch nur, wenn ich in jemanden verliebt bin.«
Da fiel das Kartenhaus endgültig in sich zusammen, Helen sprang vom Sofa hoch, und der Herr Doktor rutschte davon herunter. Sie schnappte, ein pompadoursches » bravo!« in ihrem Ohr, ihre Jacke, drehte sich kurz um, sagte zu dem neben dem Sofa auf dem Boden nach seiner Brille suchenden Herrn Doktor Sedlitzky » dann eben nicht« und überließ ihn seinem Schicksal.
17 Der Frühstücksbesuch
Von da an war der Krieg erklärt. Madame Pompadour riet zu einer Koalition, die Helen am folgenden Tag mit ihrer Freundin in Angriff nahm. Sabrina, deren Vater Professor war, weshalb sie sich nicht so leicht von diesem Berufsstand blenden ließ, war umgekehrt proportional zu Helen den erotischen Dingen ausgesetzt. Als Helen ihr den Vorfall mit dem Sofa brühwarm erzählte, beichtete sie unter Tränen, Herr Doktor Sedlitzky habe sie bei einem Besuch des Oktoberfestes, den sie ihr bis dahin aus Scham verschwiegen hatte, in die Schulter und in den Hals gebissen,
Weitere Kostenlose Bücher