Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
Vom Netzwerk:
Elan, sofort bereit, sich auf seine Aufgaben und einen dicht gedrängten Terminkalender einzulassen.
    » Gute Nacht«, flüsterte sie, » schlaf schön«, und verließ das fremde Zimmer, das ihr stickig vorkam, in dem sie nicht einschlafen konnte, das fremde, elegante Hotel, durch dessen Gänge sie lief, durch dessen Empfangshalle, ohne nach links und rechts zu sehen, und dann lief sie durch die schneebedeckten Straßen der stillen Stadt, die ihr vertraut war, deren nächtliche Ruhe im Schnee sie schön fand, und sie wusste nicht, dass Julius es doch bemerkt hatte, dass sie fehlte, neben ihm, er hatte es ihr gesagt, am nächsten Tag,
    dass er aufgestanden war und am Fenster gestanden hatte und, als könnte er ihr nachsehen, hinausgeblickt hatte –
    auf die Straße, die ruhig und verlassen da lag. Als könnte er ihre Spuren im Schnee sehen, stand er da und sah hinaus. In ihm öffnete sich die Erinnerung an eine weit entlegene Zeit, nach der sie ihn gefragt hatte, so wie sie nach so vielem fragte, so wie nur sie fragen konnte, unbefangen, genau, nicht aufhörend, weiter, sagen Sie es mir, wie sie es lange getan hatte, Sie müssen es mir sagen, sag es mir, bitte, und er dachte daran, wie viele gelebte Jahrzehnte zwischen ihnen lagen, in denen er geatmet hatte, gedacht, gesprochen, die sie alle würde wissen wollen, mit der Neugier ihrer dreiundzwanzig Jahre, wie hat es gerochen, wie hat es geschmeckt, was hast du gefühlt und wie war das Licht. Und sie würde fragen, warum er diese Musik besonders mochte und wo er sie zum ersten Mal gehört hatte, und er würde ihr alles erzählen, wie er hinausgeschwommen war, in die Weite des Starnberger Sees hinein, wie er die Alpen vor sich gesehen hatte, das großartige Abendlicht, in das er hineinschwamm, ins rötliche Gold, in dem die Spitzen des Gebirges einen Moment hell aufblitzten, um dann sofort dunkel zu werden, oder wie der Himmel dahinter in kräftigem Blau aufstrahlte, um dann in der Dämmerung die Farbe zu verlieren. Er würde ihr sagen, was er in sich aufgenommen und für sich behalten hatte, denn obwohl es an der Schule immer geheißen hatte, die Jungmannen sollten in Kunst und Musik und Literatur gebildet werden, hätte man ihn als verweichlicht geschimpft, hätte er etwas über die Farben gesagt, die er sah, oder die Empfindung, die ihn in Konzerten manchmal überkam, ganz besonders, als er zum ersten Mal Brahms gehört hatte, eine Sonate für Klavier und Cello, dieses federleichte, lebensferne Gefühl, in sich selber hineinzugelangen, dorthin, wo es keinen Ehrgeiz, keine Ehre, keinen Vergleich mit anderen gab. Eine Empfindung, die ihn manchmal, ganz unvermittelt, bei den letzten Treffen mit Helen oder bei der Lektüre ihrer drängend fragenden Briefe angeflogen hatte, eine Empfindung, die sich damals schon nicht vertragen hatte mit dem Stolz und Hochgefühl, wenn er mit den anderen durch den Schnee marschierte, am See entlang, sommers oder winters, von Feldafing nach Tutzing, laut singend, Komm, Kamerad, für dein Vaterland.
    Die Hände hielten sie gerade gestreckt, die Handflächen nach innen, parallel zu den Beinen, die Spitzen zum Boden zeigend, und so mussten auch die Füße ausgerichtet werden, straight ahead, wie ihr Englischlehrer immer zu sagen pflegte, Blick und Füße straight ahead, obwohl er keine Befehle auf Englisch mehr geben durfte, so wie es den Austausch mit den englischen oder amerikanischen Schulen nicht mehr geben durfte, wegen des Kriegs, von dem ältere Schüler jedoch schwärmten, und der der Schule nach dem Krieg auch helfen sollte, als einer der Austauschlehrer bei der Entnazifizierung sagen würde, it’s a good school, it was a democratic school, not totalitarian, weshalb dann auch ihre Lehrer bald wieder unterrichten durften, nach einer gewissen Umerziehung freilich und dem schriftlich zu gebenden Versprechen, niemals politisch aktiv zu werden. Den Blick nach vorn, die Füße geradeaus, die Hände am Leib, die Brust heraus, den Rücken gerade, die Schultern zurückgenommen.
    So waren sie nicht immer gelaufen, nein, es gab auch das lockere Marschieren, beim Singen, oder wenn sie am Sonntag ins Kino nach Tutzing liefen, um Münchhausen zu sehen, oder Theo Lingen zu bewundern, der in einer verfilmten Minna von Barnhelm spielte, oder einen anderen Spielfilm. Manchmal gingen sie auch nicht nach Tutzing, sondern nur zum Gasthaus Poelt neben dem Bahnhof, wo im großen Saal ein Vorführgerät aufgebaut wurde und sie nach der Wochenschau

Weitere Kostenlose Bücher